Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
begnügen mussten, was für Andrea Dolfin schon immer ein Stachel im Fleisch gewesen war.
Während der vom Patriarchen Trevisan zelebrierten, feierlichen Messe, sah Andrea Taddea wieder. Sie stand neben ihrem Bruder Lorenzo, die Haare im schmalen Nacken zu einem Knoten gebunden, in einem roten Kleid mit schwarzen Längsstreifen und Goldstickereien. Die Begegnung berührte Andreas unerwartet heftig.
Sie hat sich die Haare gefärbt, war sein erster, dummer Gedanke.
Nur ein Blick zu Beginn der Messe. Danach mieden sie den Augenkontakt. Doch es gab andere Blicke. Vor Andrea stand in den Weihrauchwolken, die alles umhüllten, Luca Foscari mit seiner mächtigen Gestalt und strengen Eleganz des Gewands aus schwarzer Seide. Andrea schien, als würde Luca sich mehrmals zu Taddea umdrehen, die seinen Blick jedes Mal erwiderte.
Wie ein vertrautes Paar blicken sie einander an, dachte Andrea und führte den Gedanken aus Nachsicht sich selbst gegenüber nicht fort. Auch näherte sich der Patriarch Trevisan gerade der Kommunionbank, um den dort knienden Gläubigen das Sakrament auszuteilen.
Gegenüber der Apsis, ganz im Hintergrund der Kirche, stand Angelo Riccio an einem Pfeiler und litt unter seinen entzündeten, mit den Kleidern verklebten Wunden. Der glühende Schmerz in seinem Fleisch nährte seinen grenzenlosen Hass auf Andrea Dolfin, den Mann, der sich mehr als alle anderen im Rat der Zehn darum bemüht hatte, ihn zur Höchststrafe am Ruder zu verurteilen.
Er malte sich die Freude aus, ihn schon bald tot zu sehen. Er würde ihn mit seiner Lieblingswaffe umbringen, dem Stilett mit der Klinge aus Eisenstahl, die eine Spanne maß und so dünn war wie eine Schusternadel, scharf wie ein Rasiermesser und stark genug, um das Kettenhemd einer Rüstung zu durchstoßen. Bei diesem Gedanken tasteten seine Finger nach dem hölzernen Futteral in seinem Ärmel. Es enthielt drei Stilette, jedes mit einer anderen Klinge. Er beschloss, bei Dolfin die gezackte Klinge zu benutzen. Er würde ihn in den Rücken stechen und das Stilett stecken lassen, dann würde der Tod langsamer und schmerzhafter sein und ihn selbst oder den, der versuchte, die Klinge herauszuziehen, zur letzten tödlichen Geste zwingen.
Die Spitze der Prozession bildete das große Kruzifix, hochgehalten von einem kräftigen Diakon, der den Fuß des Kreuzes in einem Lederbeutel mit Schulterriemen trug. Neben ihm gingen zwei weitere muskulöse Diakone, die ihm an schwierigen Stellen wie Brücken oder Sotoporteghi halfen. Hinter dem Kreuz wurde auf Pfeifen, schrillen Trompeten und Trommeln gespielt, es folgten der Patriarch unter einem Baldachin, Messdiener, Sänger und das gesamte Stadtviertel, fünftausend Menschen oder mehr: Adlige, Bürger und das Volk bunt durcheinander gemischt, die einander streiften, während sie den Dankesgesang anstimmten. So groß war die Menge, dass der Kopf der Prozession schon auf dem Campo dei Frari angekommen war, als das Ende noch in der Kirche San Pantaleone wartete. In jedem Fenster leuchtete ein Licht, alle waren mit Seidenstoffen und Teppichen geschmückt, und beim Vorüberziehen des Kruzifixes bekreuzigten sich die Menschen in den Fenstern und warfen Rosenblätter auf die Prozession.
Luca Foscari und Andrea Loredan fanden sich im letzten Teil der Prozession, Seite an Seite gehend, wieder. Als sie ins Freie kamen, vorbei am hohen Campanile aus Backsteinen, dessen Gesimse und Kehlungen mit Lichtern geschmückt waren, die den ganzen Rio San Pantaleone erleuchteten, beschloss Luca, das unpassende Schweigen zu durchbrechen.
»Ich freue mich, dass du zurückgekehrt bist«, sagte er, ein wenig die Stimme hebend, um das Tedeum zu übertönen, das wie eine Welle durch die Prozession lief. »Ich habe viel für dich gebetet …«
»Gott muss dich erhört haben«, erwiderte Andrea.
Die Spitze der Prozession mit dem hoch über den Köpfen der Musiker, Sänger und Gläubigen schwankenden Kreuz bog in das Gewirr der Gassen ein, das nach San Tomà führte.
»Hör zu, Andrea«, stammelte Luca unbeholfen. »Ich muss dir etwas sagen …«
Andrea wandte sich zu seinem Freund um und befreite ihn aus der Verlegenheit. »Du willst mit mir über Taddea sprechen?«
Einen Moment lang schien Luca verblüfft, dann nickte er.
Angelo Riccio musste schnell und präzise handeln. Er war fast auf dem Campo San Tomà angekommen. Hier würde er diesen elenden Venezianer töten, wenige Schritte vor dem Campo, wo das Gedränge am dichtesten war, um dann in
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