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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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müssen.
    »Das werde ich mit Freude tun«, sagte er darum. »Ihr müsst jedoch wissen, ehrwürdiger Vater, dass es noch einen anderen Grund gibt, warum ich hier bin und um Audienz bitte. Einen sehr persönlichen Grund.«
    Der Prior hatte ein solches Anliegen erwartet und wusste recht wohl, dass dies der Kern der Sache war. Doch er gab es nicht zu verstehen, sondern verbarg seine Neugier hinter einem großzügigen Lächeln. »Betrachtet mich als Euren Beichtvater.« Die Augen des Priors leuchteten ehrlich, wenigstens schien es Andrea so. Also beschloss er, sich ihm anzuvertrauen.
    »Wisst Ihr, die Frage ist in der Nacht der Explosion des Arsenale entstanden, als ich mit vielen anderen Venezianern zum Kloster der Celestia gelaufen bin. Als wir ankamen, brannte noch alles, und viele waren unter den Trümmern begraben, die Kirche war eingestürzt, aber die Nonnen waren in Sicherheit.«
    »Ein Wunder«, bestätigte der Prior mit dem sicheren Tonfall eines Menschen, der das Thema längst besprochen und geklärt hat. »Es war die Gottesmutter, deren steinernes Abbild dort seit jeher verehrt wird.«
    Andrea, der nicht an Wunder glaubte, doch die Gewissheiten des Priors nicht in Zweifel ziehen wollte, pflichtete ihm bei: »Ich selbst bin Zeuge, Padre: Das Bildnis der Jungfrau Maria mit ihrem göttlichen Kinde stand dort, unversehrt in der Apsis, hoch und stark zum Schutz der Schwestern.« Instinktiv machte er eine Pause, sein Blick ging durch die Tür zur Novizin, doch ihr Platz war leer.
    »Und weiter?«, drängte der Prior, der die Ablenkung bemerkt hatte.
    »In jener Nacht«, nahm Andrea seinen Faden wieder auf, »bin ich mit einem Werkmeister des Arsenale in die Krypta hinabgestiegen, denn dorthin hatte man die ehrwürdige Mutter Lucia Vivarini, die Äbtissin, gebracht.«
    »Sie hat ihr Leben für die anderen geopfert, die Schwestern haben mir alles erzählt«, bestätigte der Prior.
    »So ist es, doch genau dies ist der Punkt, denn Ihr müsst wissen, Padre, dass etwas Besonderes geschehen ist   …« Andrea befiel ein letzter Zweifel, ob er fortfahren sollte, doch wie manche Schiffe, die zu schnell auf die Mole zusteuern und dann mit dem Bug dagegenstoßen, fiel es ihm nach einem solchen Anlauf schwer, innezuhalten. Er beschloss nur, nichts von dem Brief zu erzählen, den die Äbtissin ihm geschrieben hatte. »Als ich mich über sie beugte, um ihr zu helfen, hat Suor Lucia meine Hand genommen, mich angelächelt und meinen Namen ausgesprochen. Versteht Ihr?«
    Der Prior musterte ihn schweigend, konzentriert wie ein Arzt, der die Symptome einer Krankheit sucht. »Das findet Ihr seltsam?«, fragte er schließlich.
    »Es war, als würde sie mich kennen«, versuchte Andrea zu erklären.
    »Mein Sohn«, unterbrach ihn der Prior lächelnd, »Ihr seid in Venedig wohlbekannt.«
    Überrumpelt dachte Andrea einen Moment über diese Selbstverständlichkeit nach, ehe er erwiderte: »Ich versichere Euch, Padre, dass ihr Verhalten über die Vertraulichkeit hinausging, die viele meiner Familie und mir entgegenbringen.« Diese Präzisierung schien dem Prior etwas von seiner Sicherheit zu nehmen. »Und es gibt noch etwas, das Ihr wissen müsst.« Andrea sah dem Prior in die Augen. »Im letzten Augenblick vor ihrem Tod sprach die Äbtissin zu mir, sie sagte etwas, über das ich seither nachdenke, ohne seine Bedeutung herausfinden zu können. Sie sagte, ich solle die Wahrheit in der Seele suchen   …«, die Worte erstarben ihm auf den Lippen, denn eine leichte Veränderung des Lichts hinter dem Rücken des Priors hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Auf der Schwelle zur Sakristei, kaum vier Schritte entfernt, stand die Novizin und blickte ihn an, während sie den Kopf schüttelte. In einer langsamen, vorsichtigen, aber unmissverständlichen Bewegung.
    »Nun?«, fragte der Prior.
    Als Andrea zögerte, wandte der Prior sich um. Die Novizin rührte sich nicht und hielt seinem Blick stand.
    »Benötigt Ihr etwas?«, fragte der Mönch mit eiskalter Stimme.
    Die junge Frau sah ihn nur an und schien etwas antworten zu wollen. Dann legte sie eine Hand an ihre Stirn, schloss die Augen und drehte sich um sich selbst.
    Andrea eilte ihr sofort zu Hilfe, doch er konnte nicht verhindern, dass die Novizin auf den Marmorboden sank. In der Kirche stockte der Rhythmus des Rosenkranzes und wurde zu einem erregten Murmeln, während die ersten Mönche aus ihren Bänken eilten und die junge Frau im Halbkreis umringten. Andrea kniete schon neben ihr, einen Arm

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