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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Ohr, dann eine zweite. Er lebte und dankte Gott, dass der ihn bis hierher geführt hatte, auf diesen neuen Pfad, von wo aus er seinen Weg fortsetzen konnte.

10
    Die Geheimkanzlei im oberen Mezzanin des Palazzo Ducale war ein großer Saal über zwei Ebenen mit unterschiedlichen Funktionen. Beim Eintreten gelangte man in die obere Ebene, gute sechs Spannen über der zweiten errichtet und von einem großen Dachfenster und vier paarweise übereinanderliegenden kleinen Fensterchen erleuchtet. Hier standen neben dem Schreibtisch des verantwortlichen Aufsehers der Skribenten zwei Tische, an denen die ersten Sekretäre Akten und Dokumente vorwiegend politischer, vertraulicher und geheimer Art protokollierten, welche tagtäglich aus den Ratssitzungen, Versammlungen, den unterschiedlichen zonte , und »Triumviraten« der Regierung der Serenissima hereinkamen.
    Die zweite Ebene befand sich jenseits einer Balustrade aus Nussbaum, die an den Rand des Fußbodens aus rotem Marmorterrazzo anschloss. Durch ein zweiflügeliges Törchen in der Mitte der Balustrade, ebenfalls aus Nussbaum in Form verschlungener Reblinge, gelangte man über vier Stufen nach unten. In diesem, an allen Seiten mit Schränken verkleideten und von einer heiligen Stille erfüllten Raum, standen Tische in drei Reihen hintereinander, an denen die Schreibsekretäre saßen und Aktenbündel, Urteilssprüche, Briefe und Register verzeichneten, klassifizierten und katalogisierten, wobei sie die unleserlichsten Dokumente mit ihrer Schönschrift transkribierten. Von diesem emsigen Arbeiten hörte man nur das Rascheln der schwarzen Kittel der Skribenten und das Kratzen der Federn, die über die Pergamente tanzten, gelegentlich ein Knarren des Holzes und seltene Huster.
    Unangefochtener Herrscher über dieses Reich aus Ordnung und Gedächtnis, guten und weniger guten Beschlüssen, war der Bürger Zuàn Francesco Ottobon. Als einfacher Schreiber in die Kanzlei eingetreten, war Zuàn Francesco höher und höher aufgestiegen, vom Vizenotar zum Notar, vom Dogensekretär zum Sekretär der Zehn, bis er schließlich 1559 den Riesensprung zum Großkanzler gemacht hatte, dem begehrtesten und bestbezahlten Amt, das ein einfacher Bürger anstreben konnte.
    Von imposanter Statur, stets in die tadellos gepflegte purpurne Toga gekleidet, mit Adlernase und schmalen, bohrenden Augen, stand Ottobon die Erfahrung, die er in seinem langen, abenteuerlichen Leben gesammelt hatte, ins Gesicht geschrieben. Obwohl er die Schwelle der siebzig erreicht hatte, schien er nicht die geringste Absicht zu haben, das Zepter abzugeben, und er versäumte, vorausgesetzt, Versammlungen und Beratungen erlaubten es ihm, an keinem einzigen Tag, den ordnungsgemäßen Gang der Kanzlei zu überwachen. Der Kanzleien, genauer gesagt. Denn außer der Geheimkanzlei musste, ein Stockwerk tiefer, die Dogenkanzlei und, drang man noch weiter ins Herz des Palazzo vor, auch die Arbeit der beiden Notare kontrolliert werden, denen die Führung der Unteren Kanzlei oblag. Und da Ottobon prinzipiell niemandem traute, legte er selbst als Einer und Dreifaltiger jeden Tag zwischen den Kanzleien etliche Meilen zurück, wofür ihm pro Jahr drei Paar neuer roter Schuhe zustanden, da seine Absätze sich rasend schnell abnutzten.
    An diesem Nachmittag im Oktober, während die letzten Sonnenstrahlen die Scheiben der vier Fensterchen an der hinteren Wand in Flammen setzten und die Sekretäre eine hektische Aktivität entfalteten, um Kerzen und Öllampen gegen die Dunkelheit anzuzünden, durchmaß Zuàn Francesco Ottobon mit nervösen Schritten die Längsachse des großen Saals. Und bei diesem vom Fluss düsterer Gedanken angetriebenen Auf und Ab versuchte er den Preis für die verschwenderische Fülle an Lichtquellen zu überschlagen. Er verfluchte den Moment, in dem er beschlossen hatte, dem Rat der Zehn einen Gefallen zu tun, indem er einen Teil der Schreibstube dem Chiffreur Zuàn Francesco Marin und seinen beiden tüchtigsten Schülern überlassen hatte. Dies waren Ferigo Marin, der Sohn von Zuàn Francesco, und Pietro Amadi, ebenfalls Sohn eines großen Chiffreurs, Agostino, der inzwischen alt und fast blind war.
    Ottobon quälten die Angst vor einem Feuer angesichts all dieser Flammen und der Preis für Kerzen und Talg, denn wenn das so weiterging, würden die ohnehin mageren Kassenbestände sich mit einer Geschwindigkeit von mindestens zwölf Lire pro Nacht erschöpfen. Das Ganze dauerte nun schon ein paar Tage, denn das große

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