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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Anlegeplätzen bis zu den Schornsteinen. In dieser Nacht hatte der Ostwind den Schirokko abgelöst und kam nun in starken Böen, die am verrosteten Gitter des Fensterchens rüttelten.
    Zaneto kannte den Palazzo besser als den Körper seiner Frau. Nicht mit den Augen, nein, mit dem Ohr und der Nase. Dies war eine ruhige Nacht. Besser als andere. Das Flügelrascheln einer Fledermaus. Der Geruch vom Meer, der den menschlichen Gestank überlagerte. Er wandte sich nach rechts und blieb vor dem Guckloch der dritten Zelle stehen. Filippo Tomei jammerte leise, wahrscheinlich im Halbschlaf, den er nicht stören wollte. Kein weiteres Stöhnen, Röcheln und Schnarchen, denn das ganze Stockwerk war leer. So hätte er die Gefängnisse gerne immer gehabt.
    Er drehte um und stieg weiter die siebzehn Stufen in das Geschoss mit den unteren Zellen hinunter, kontrollierte das Öl in der Wandleuchte und schritt den Korridor bis zum Ende ab, wo sein Blick auf den Salpeter fiel, der weiß wie Raureif auf der Steinmauer blühte. Bei dem Schirokko, der den ganzen Tag geweht hatte, hätte es Hochwasser geben können, dachte er.
    Der Alte hatte Zaneto schon vom Anwaltszimmer aus kommen hören. Also hatte er sich auf dem Strohlager ausgestreckt und so getan, als schliefe er. Jetzt hörte er nur den Atem des Wächters vor dem Guckloch. Er wusste, dass der Mann lauschte, darum beschloss er, eine Bewegung zu machen, wie jemand, der träumt. Er wollte vermeiden, dass Zaneto hereinkam, um ihn zu kontrollieren, weil er nichts hörte und einen weiteren Selbstmord befürchtete. In den letzten Monaten hatten sie unter den Gefangenen zugenommen. Er drehte sich auf die Seite, um die Bretter der Pritsche zum Knarren zu bringen. Kurz darauf verriet ihm das Scharren der Sohlen auf den Treppenstufen über seinem Kopf, dass Zaneto gegangen war. Er zählte siebzehn Schritte, so viele wie Stufen, und wartete noch einen Augenblick. Dann drehte er sich wieder um und ließ sich in das weiche Halbdunkel über dem Boden gleiten, bis zu der Stelle, wo er angefangen hatte zu kratzen. Der Mörtel war schon entfernt, jetzt konnte die lange Nadel senkrecht bis zur Öse eindringen. Der Alte warzufrieden. Er steckte die Nadel in das Strohlager, dann tastete er die ausgefranste Webkante seines Kittels ab und begann, einen Faden herauszuziehen. Er zog noch drei weitere Fäden heraus und band ihre Enden zusammen, so dass ein fast sechs Fuß langer Faden entstand. Er fädelte ihn durch die Öse und machte einen Knoten. Dann legte er sich auf den Boden der Zelle, steckte die Nadel in den Zwischenraum und ließ sie langsam hinunter. Das spitze Eisen drang in ganzer Länge ein und sank noch tiefer, am Faden hängend, bis der an sein Ende kam. Der Alte zog ihn noch langsamer, Zoll für Zoll, wieder hoch. Als der Faden zur Hälfte eingeholt war, wurden seine Finger nass. Die Nadel tropfte. Der Alte leckte an seinen nassen Fingern: Das Wasser war salzig. Er lächelte. Der Tunnel verlief genau unter der Zelle, und das gab seiner Hoffnung neue Nahrung.

22
    Andrea Loredan kam frühzeitig im Casón von San Zuàne in Bragola im Stadtteil Castello an. Das Gefängnis erstreckte sich über das gesamte Souterrain des schönen Hauses mit Fresken an der Fassade, das Marin Morosini am Campo San Zuàne besaß. Der in Schulden ertrinkende Adelige hatte den unteren Teil seines Palazzo an die Signori di Notte al Criminal vermieten müssen. In das Gefängnis gelangte man über eine enge Seitengasse, deren Name, Calle della Morte, wenig geeignet war, die Stimmung der unglücklichen Insassen zu heben. Dieses strategisch günstig, weniger als hundert Schritt von der Riva degli Schiavoni entfernte Casón war zweifellos das trostloseste und überfüllteste Gefängnis der Stadt, wie alle Orte der Verhaftung und Strafe in der Nähe von Häfen. Denn nach Monaten auf dem Wasser, wo man von allerlei Hirngespinsten verfolgt wird, ist es nicht leicht, mit Kopf und Beinen wieder Tritt zu fassen an Land. Es kann zum Beispiel vorkommen, dass man seine Fraunicht wiedererkennt, andere Gerüche, einen anderen Blick an ihr wahrnimmt. Mancher erkennt seine Söhne kaum wieder, seine Töchter und Geschwister. Das kann passieren. Wenn man dagegen in einem fremden Hafen landet, sitzt man auf glühenden Kohlen, kann es nicht erwarten, wieder in See zu stechen. Dann gärt die Spannung wie Most, und die Wut kann jederzeit explodieren.
    Gabriele Ruis kauerte in einer Ecke der Zelle und sah aus wie ein Bündel weggeworfener

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