Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Andrea.
»Die Äbtissin der Celestia? Warst du nicht dabei?« Luca wirkte erstaunt.
»Ja, aber ich bin kein Arzt.«
Die Erwiderung erschien glaubwürdig.
»Sie ist verblutet. Innere Blutungen durch Quetschung, die Rippen haben die Lunge durchstoßen.«
»So heißt es. Ich möchte deine Meinung wissen. Hast du sie gesehen?«
Der Arzt musterte ihn wieder und kratzte sich am Kinn, wo die schwarzen Stoppeln hartnäckig wucherten. »Ja, ich habe sie gesehen. Aber es war Michele, der sie obduziert hat.«
»Pagiarin?«, fragte Andrea.
Luca nickte nur, er war sichtlich in Nöten.
»Nun? Du warst doch dabei, oder?«, drängte sein Freund.
»Hör mal, damit riskiere ich meinen Ruf und meine Arbeit.« Luca seufzte und schloss die Augen, nur für einen Moment. Dann sah er Andrea an. »Man hat ihr Herz durchbohrt«, sagte er mit düsterer Stimme.
Jetzt war es an Andrea, zu seufzen und sich eine Hand an die Stirn zu legen, als hätte ihn plötzlich eine unendliche Müdigkeit befallen. »Habt ihr herausgefunden, womit?«, presste er hervor.
»Nein. Es war eine merkwürdige Wunde«, sagte der Arzt. »Tief und winzig klein. Wie von einem spitzen Eisen, dünner als ein Spieß. Vielleicht eine Nadel. Kennst du diese langen Nadeln, die die Segelnäherinnen vom Arsenale benutzen?«
Andrea nickte und schloss halb die Augen. So verharrte er, in einen Gedanken versunken, den er seit einiger Zeit mit sich herumtrug, der aber jetzt, nach den Worten seines Freundes, in einer konkreten, entsetzlichen Vermutung Gestalt annahm. Er sah Luca eindringlich an.
»Ich weiß nicht, ob ich phantasiere«, sagte er traurig, »aber ich glaube, dass der arme kleine Tonino Ruis auf dieselbe Weise getötet wurde.« Und während er das sagte, ließ er sich auf das Mäuerchen des Kreuzgangs fallen. Luca setzte sich neben ihn.
25
Angelo Riccio konnte sich glücklich schätzen, denn er hatte es allein dem Zufall zu verdanken, dass er eine Reihe von Ereignissen unversehrt überstanden hatte, womit die Fortführung seines bewegten irdischen Daseins gesichert war.
Der erste und wichtigste Zufall hatte es gewollt, dass der kleine Pfeil aus einer Armbrust, der ihm eine halbe Spanne unterhalb der Leiste vier Finger tief ins Bein gedrungen war, die Oberschenkelarterie um Haaresbreite verfehlt hatte. Zweites, ebenfalls entscheidendes Ereignis: Trotz der Schmerzen hatte Angelo es mit dem Pfeil im Fleisch bis zum Rio della Croce geschafft, wo sein Boot lag, wie vereinbart, und so war es ihm gelungen, zu verschwinden, bevor der Unbekannte die Armbrust erneut laden konnte. Drittens der nicht unbedeutende Zufall, dass sich um die neunte Stunde ein kräftiger Ostwind erhoben hatte, der das Boot anschob und ihm beim Rudern half. Viertens hatten die Sbirren ihn nicht angehalten, an sich eine Banalität, aber entscheidend unter diesen Umständen. Fünftens und sehr willkommen, hatte der Sekretär der Zehn, Zuàne Formento, trotz seiner Müdigkeit nach der durchwachten Nacht als der präzise Charakter, der er war, an jenem feuchten, windigen Morgen am vereinbarten Ort auf ihn gewartet. Sechstens war Riccio erst ohnmächtig geworden, nachdem er sein Boot an der Anlegestelle des Palazzo vertäut und dem Sekretär alles erzählt hatte. Letzter und entscheidender Punkt: Trotz der Verletzung war dem Mönchlein genug Blut geblieben, um lebend zu demjenigen zu gelangen, der ihn retten würde.
Als er jetzt die Augen wieder aufschlug, läutete eine Glocke ununterbrochen, und jeder Schlag war ein stechender Schmerz in der Leiste. Angelo versuchte zu erkennen, wo er war, und hob den Kopf. Jemand berührte ihn an der Schulter.
»Seid ganz ruhig, Ihr seid in Sicherheit in der Folterkammer.« Formentos Lächeln beschwichtigte seine Angst, aber nicht den Schmerz. »Wir sind fast fertig«, fügte er tröstend hinzu und zeigte ihm den blutverschmierten kleinen Pfeil.
Wir sind fertig?, dachte Riccio noch benommen vom Erwachen, als er wieder einen stechenden Schmerz verspürte. Er blickte sich um und begann, seine Umgebung wahrzunehmen. Er erkannte die Folterkammer und sah sich auf dem Schreibtisch liegen, der von den Inquisitoren während der Verhöre benutzt wurde. Den Grund für die Schmerzen in der Leiste erfuhr er, als er den Kopf hob und den Blick über seinen Körper nach unten wandern ließ: Zaneto, der treueste, diskreteste Wächter der Pozzi, der gestern Nacht auch am Ruder gestanden hatte, hob eine Hand, und zwischen Daumen und Zeigefinger hielt er eine Nadel mit Faden
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