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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Zeichen in Indigoblau. Sie sahen wirklich aus wie eine Blume mitacht Blütenblättern, und jedes bestand aus einem griechischen Buchstaben:
    α β γ δ θ η κ ζ

27
    »Vater, vielleicht habe ich etwas gefunden!«
    Die helle, hoffnungsvolle Stimme von Ferigo Marin hallte durch die Kanzlei und bewirkte, dass Ottobon sein nervöses Auf und Ab schlagartig unterbrach und die Federn der Skribenten sich hoben. Der erste Kryptograph der Serenissima, Zuàn Francesco Marin, nahm sich die Brille mit dem dicken Holzgestell von der Nase und blickte seinen Sohn mit bestürzter Miene an, wie ein erfahrener Beichtvater, der soeben eine scheußliche Sünde vernommen hat. Der andere junge Schüler, Pietro Amadi, der rechts von Ferigos Tisch arbeitete, reckte schon den Hals über dessen Papiere, um herauszufinden, worum es sich handelte, und sich wenn möglich ein Mosaiksteinchen anzueignen, um nicht als ahnungsloser Tölpel dazustehen.
    »Bitte«, rief Ferigo, an den zögernden Vater gewandt, »kommt her und seht selbst.«
    Alle Blicke richteten sich auf den alten Mann, der sich nicht entschließen konnte, als bezweifelte er, dass das, was der Sohn herausgefunden hatte, die Mühe der wenigen Schritte lohnte. Dann bewegte er sich mit seinem fließenden, leicht vornüber gebeugten Gang doch auf ihn zu.
    »Aha, der kleine Falke hat das Nest für seinen ersten Flug verlassen.« In seinem Ton lag eine Spur Ironie, die Ferigo nicht entging. Der Alte legte die Lippen an das Ohr seines Sohnes und flüsterte drohend: »Aufgepasst, denn ›Land‹ zu schreien, wenn man es mit einer Wolke verwechselt, ist die größte Blamage für einen Matrosen.« Dann fuhr er freundlich und mit lauter Stimme fort: »Gut, nun zeig mir die frohe Botschaft!« Er setzte seine Brille wieder auf und konzentrierte sich auf Ferigos Papiere. Dieser zögerte, als müsste er sein Selbstvertrauen zurückgewinnen.
    »Seht her«, sagte er und wies auf einen mehrere Spannen langen Streifen Pergament, auf dem sich Vokale und Konsonanten zu einem Gewirr aus Buchstaben ohne erkennbare Bedeutung aneinanderreihten:
    Kbhqgtwwcjqtuwdvymkvbmyhwwfqprnmzlsqakzbdcthjohkctfzltchcgowneoxnmbxucxbyqjlsagvvxkctfzcgrrwckqtuwmfniifgkvvcgrhmeuierecnhmxiocavdhchirhmsqctnnmvfblnzbkvjwyomerdzvhiifwcavynrfbngijlotrzztucxcdiwvztnnmvfblnkwblbidpqgkotnlctcsmevbkzdtnymecobrmhtgcapdineoarnbtcoyhvtxvfibobhmctgzttgfqzvqglzbvhwneoarobbdotnlctcsmevdxehqfzbmvjwyomerdzvhi
    »Wir wissen, dass das Original dieser Chiffre auf venezianischem Papier der Gebrüder Zanardini geschrieben wurde, und können ein Datum zwischen 1540 und 1550 annehmen. Sie besteht aus dreihundertdreiunddreißig Buchstaben, zweiundfünfzig Vokalen und zweihunderteinundachtzig Konsonanten, einschließlich des k, w, x und y. Warum ich auch das j zu letzteren zähle, werde ich Euch noch erklären.«
    »Mach es kurz, mein Sohn«, flüsterte der Vater wieder.
    Der junge Kryptologe beeilte sich, ein hauchdünnes Seidenpapier über das Pergament zu legen, auf das er eine Reihe Vokale, Konsonanten und Zahlen geschrieben hatte, die sich nun unter und über den Buchstaben der verschlüsselten Schrift befanden. Er brachte das Dokument ans Licht einer Öllampe und überflog es von links nach rechts, während er mit seiner Erklärung fortfuhr: »Ich habe die Häufigkeiten der Buchstaben berechnet. Das c steht mit 25 Mal an der Spitze, es folgt das t mit 22 Mal, dann das v mit 21 Mal   …«, Ferigo fuhr eifrig fort: »…   b und n 19 Mal, m 18, und so weiter bis zu den seltensten x und y mit acht Mal, j sechs, s fünf und p drei.«
    »Sehr gut.« Sein Vater lächelte ironisch. »Ich sehe, dass du nicht umsonst studiert hast.«
    »Hier habe ich die Häufigkeiten der Konsonanten und Vokale aus zwei Abschnitten der Tagebücher von Sanudo.« Er zeigte das Pergament erst seinem Vater, dann Pietro. »Bei dreihundertsechzig Buchstaben eines venezianischen Textes sind die häufigsten Buchstaben das a, das e und das i.«
    »Mein Junge«, unterbrach ihn Zuàn Francesco, »alles was du sagst, ist Musik für meine Ohren«, er machte eine Pause, »aber komm zum Kern der Sache, denn die Sonne geht bald unter, und ich möchte sie nicht wieder aufgehen sehen, während ich noch immer deiner schönen Vorrede lausche.«
    Ich hasse dich. Ferigo war erfüllt von diesem Gedanken, als er sagte: »Ihr habt recht, Vater, ich komme zur Schlussfolgerung.« Er brachte sogar ein Lächeln zustande. Dann nahm er ein Blatt, auf dem er Spalten mit Buchstaben gefüllt hatte.

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