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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Kerze, hielt sie schräg und ließ Wachs auf zwei Ecken des Papiers tropfen. Dann eilte er, das Blatt in den Händen wie ein Tuch, das zum Trocknen aufgehängt wird, zu einer Schranktür und klebte es daran fest. Er nahm ein Stöckchen und beschrieb einen Kreis um das Pergament, auf das er mit Kohle die 333 Buchstaben des verschlüsselten Textes geschrieben hatte.
    »Das hier ist unser fauler Apfel!«, rief er aus, seinen Sohn, dann Pietro und zuletzt die Skribenten und Sekretäre anblickend, als wäre er ein Lehrer am Katheder. »Und das hier   …«, er klopfte mit dem Stöckchen auf einige Buchstabengruppen, »sind die Würmer, die ihn haben faulen lassen. Seht her, sie wiederholen sich. Das kann kein Zufall sein.« Zuàn Francesco wandte sich an seine Schüler. »Erinnert euch das an etwas?«
    Der Erste, dem die Erleuchtung kam, war Pietro Amadi. »Polyalphabetische Substitution«, sagte er fast flüsternd, als fürchte er den Zorn des Lehrers.
    »Erfreulich, da erkennt man den guten Stall. Dein Vater Agostino wäre stolz auf dich«, rief dieser sichtlich zufrieden aus. »Was könnt ihr mir sonst noch über Würmer sagen?« Diesmal blickte er seinen Sohn an, der alles getan hätte, nur um eine Antwort zu geben und mit Pietro mitzuhalten. Und gleich darauf brach es auch schon aus ihm heraus: »Der Schlüssel! Polyalphabetische Substitution mit einer Ersetzungschiffre!«
    »Sehr gut.« Der Vater lächelte ihn an. »Wer diesen Text verschlüsselt hat, versteht sich auf sein Fach. Er zwingt uns, Berge zu überwinden, die bis in den Himmel und darüber hinaus reichen.« Er machte eine Pause, und sein Sohn, der den väterlichen Scharfsinn kannte, seufzte in Erwartung auf den Rest der Ausführung. »Das Alphabet mit sechsundzwanzig Buchstaben hat er nur benutzt, um uns in die Irre zu führen. Er hat mehrere Alphabete benutzt   … mit multiplen Schlüsseln, nehme ich an   … mit Ersetzungschiffre und Algorithmen.« Marin sprach langsam und mit gedämpfter Stimme. »Ich denke an Leon Battista Alberti, an Johannes Trithemus, an diesen Verrückten Zuàne Belaso   …«
    »Belaso?« Beim Aussprechen dieses Namens zitterte Ferigos Stimme vor Erregung.
    »Genau der«, bestätigte der Chiffreur. »Wir müssen all unseren Mut zusammennehmen, denn wir haben es mit etwas Großem zu tun. Wir müssen Neuland entdecken. Los, zurück an die Arbeit!«
    Der Kryptologe wandte allen den Rücken zu, setzte sich an seinen Schreibtisch und begann, ein Liebesmadrigal zu trällern.

28
    Drei Dinge gab es, die Hieronimo Dalessi, ein junger Arzt mit vielversprechender Karriere, nicht ertragen konnte: Kakerlaken, Latrinengestank und seine Finger an die Hoden der Gefangenen legen zu müssen. Wenn er zu den vorgeschriebenen Untersuchungen in die Pozzi hinabstieg, kleidete er sich darum jedes Mal, als ginge er auf Entenjagd in den Schilfsümpfen von Marano. Unter dem schwarzen Mantel und dem breitkrempigen Hut, dem Erkennungszeichen seines Standes, pflegte er Stiefel aus Rindsleder zu tragen, die ihm bis zur Leiste reichten, damit die Kakerlaken, die in jedem Winkel der Zellen nisteten, ihm nicht an den Beinen hochkrochen. Gegen Flöhe und Läuse trug er seinen Jagdanzug aus gegerbtem Leder, Hemd und Hose, alles fest mit Bändern verschnürt. Weiße Handschuhe, damit er die Parasiten sofort erkennen konnte, und gegen den Gestank der Gefangenen, der stark war wie ein Topf voller Exkremente, zwei mit Rosenwasser getränkte Wattestopfen in den Nasenlöchern – gegen jede Regel seines Berufs, der für eine richtige Diagnose auf Gerüche und Farben angewiesen ist.
    Als er an diesem Tag die Untersuchung des alten, aber noch unversehrten Körpers des türkischen Teppichhändlers Mehmet Hasan abgeschlossen hatte, sprach Doktor Dalessi dem ersten Wächter Zaneto jedoch ein aufrichtiges Lob für die Reinlichkeit der Zelle und den guten Allgemeinzustand des Gefangenen aus. Er versprach ihm auch, diese Tatsache dem Rat der Zehn zu melden, dem am guten Ruf seiner Gefängnisse außerordentlich gelegen war, weil es immer klug ist, die Strenge der Strafe mit einer gewissen Humanität der Verbüßung auszugleichen. Zaneto, undurchdringlich und wortkarg wie immer, begnügte sichdamit, den rothaarigen Kopf zu neigen und ein rasches »Danke, dottore « zu murmeln, obwohl er innerlich jubelte, weil er wusste, dass die Meldung ihm eine Sondervergütung von mindestens fünf Silberdukaten einbringen würde.
    Dann krochen beide mit der Selbstverständlichkeit von

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