Die Feuer von Troia
Schultern und wehenden, langen, blaß-blonden Haaren. Er stapfte aus seinem Zelt und kam geradewegs auf die Stadtmauer zu. Außer Reichweite der Bogenschützen blieb er stehen, hob die geballte Faust und schüttelte sie gegen die Mauern. Er rief etwas, das man über die Entfernung hinweg nicht deutlich verstand.
»Was hat er wohl gesagt?« fragte Hektor.
Paris, der in der Nähe gerade seinen Harnisch ablegte, sagte: »Vermutlich eine Abwandlung von>Hektor, Sohn des Priamos< - mit ein paar ausgewählten Bemerkungen über deine Vorfahren und deine Nachkommen, komm herunter und laß mich dich zehnmal töten!«
»Eher zehntausendmal«, stimmte Hektor zu. »Ich habe seine Worte nicht genau verstanden, aber der Tonfall war deutlich genug.«
»Also, wollen wir feiern?« fragte Paris.
»Nein«, erwiderte Hektor ernst, »ich freue mich nicht. Patroklos war ein tapferer und ehrenhafter Mann. Vielleicht vermochte nur er den Wahnsinn des Achilleus in Grenzen zu halten. Ich bin sicher, der Krieg wird jetzt noch schlimmer werden, denn er ist nicht mehr da. «
»lch verstehe dich nicht«, beschwerte sich Paris. »Wir haben einen großen Krieger besiegt, und du freust dich nicht einmal. Wenn ich ihn getötet hätte, würde ich einen Festtag ausrufen lassen und feiern. «
»Wenn dir an einem Festmahl gelegen ist, läßt sich das sicher irgendwie einrichten«, erwiderte Hektor. »Ich bin sicher, daß viele sich freuen. Aber wenn wir die anständigen und ehrenhaften Achaier töten, bleiben nur noch die Verrückten und Schurken als Gegner übrig. Ich fürchte keinen vernünftigen Mann. Aber Achilleus - das ist etwas anderes. Ich trauere um Patroklos vielleicht ebenso wie jeder andere mit Ausnahme von Achilleus.«
Aeneas ging zum Rand der Mauer und blickte hinunter. »Wo ist Achilleus? Er ist nicht mehr da.«
»Vermutlich ist er wieder in seinem Zelt und versucht, Agamemnon zu überreden, für die Trauer eine Kampfpause von ein paar Tagen auszurufen.«
»Jetzt könnte man sie am empfindlichsten treffen«, meinte Paris, »solange sie noch völlig durcheinander sind, und Achilleus sich noch nicht von dem Schlag erholt hat. «
Hektor schüttelte den Kopf.
»Wenn sie um einen Waffenstillstand bitten, gebietet es die Ehre, daß wir ihn gewähren. Sie haben in einen Waffenstillstand eingewilligt, damit wir um deine Söhne trauern konnten, Paris.«
»Ich habe nicht darum gebeten«, erwiderte Paris böse. »Das ist kein Krieg, das ist ein behutsamer Austausch von Höflichkeiten und mehr eine Art Tanz!«
»Der Krieg ist ein Spiel mit Regeln, wie alle Spiele sie haben«, erklärte Priamos. »Paris, hast du dich nicht darüber beklagt, daß Agamemnon und Odysseus die Regeln gebrochen haben, als sie den Thrakern die Pferde raubten?«
»Wenn wir schon kämpfen«, sagte Paris, »laßt uns versuchen zu gewinnen. Ich sehe keinen Sinn darin, Höflichkeiten mit einem Mann auszutauschen, den ich töten will, und der alles daransetzt, mich zu töten.«
Hektor und Paris sprachen jetzt gleichzeitig. Priamos mahnte: »Einer nach dem anderen«, und Hektor setzte sich mit seiner Lautstärke durch.
»Einzig und allein diese Höflichkeiten, wie du sie nennst, machen den Krieg für zivilisierte Menschen zu einer ehrenhaften Sache. Wenn wir je aufhören sollten, unseren Feinden diese Höflichkeiten zu erweisen, wird der Krieg nichts weiter als eine schmutzige Angelegenheit von Schlachtern und das Werk des schlimmsten Gesindels sein.«
»Wenn wir nicht kämpfen wollen«, sagte Paris, »weshalb klären wir unsere Meinungsverschiedenheiten nicht mit einem Wettschießen oder Wettkämpfen wie Boxen und Ringen? In diesem Fall erscheint mir ein Wettkampf vernünftiger als Krieg, denn das bedeutet, dem Sieger winkt ein Preis. «
»Und der Preis ist Helena? Glaubst du, sie wäre bereit, der Preis bei einem Wettschießen zu sein?« höhnte Deiphobos.
»Vermutlich nicht«, sagte Paris. »Aber Frauen dienen im allgemeinen als Preis, den sich ein Mann erwirbt. Ich sehe nicht, wo da der Unterschied liegt.«
Früh am nächsten Morgen erschien Agamemnon in den weißen Gewändern eines Herolds und mit einer Friedensfahne im Palast des Priamos. Als Friedensgeschenk brachte er Kara und Adrea zurück, die beiden Kammerfrauen Hekabes, die man Kassandra bei ihrer Rückkehr aus Kolchis genommen hatte. Dann bat Agamemnon den König zu Ehren des Toten um eine siebentägige Waffenruhe, denn Achilleus wollte zum Gedenken an seinen Freund Begräbniswettkämpfe
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