Die Feuer von Troia
seiner Schwester gegenüber. Wenn er als einziger unter seinem Leichtsinn zu leiden hätte, dann wäre sie still gewesen. Aber wenn Paris sich irrte, würde ganz Troia dafür bezahlen. Deshalb drängte sie ihn: »Ich bitte dich, laß wenigstens eine Zeitlang zusätzliche Wachen bei den Pferden aufstellen«, und wiederholte, was Polyxena ihr berichtet hatte.
»Schwester«, sagte Paris nicht unfreundlich, »es gibt sicher genug Frauenarbeiten für dich, daß du dich nicht mit der Kriegführung befassen mußt.«
Kassandra preßte die Lippen zusammen, denn sie wußte, Paris würde mit Sicherheit nichts ernst nehmen, was sie sagte. Sie konnte schlecht selbst Wache bei den Pferden stehen. Deshalb sprach sie mit den Priestern im Tempel, und sie erklärten sich bereit, die königlichen Ställe zu überwachen.
Spät in der Nacht wurde auf den Mauern Alarm geschlagen. Die herbeieilenden Soldaten fingen ein halbes Dutzend Männer, die unter Führung von Odysseus gerade die königlichen Ställe verließen. Die Wache, die den achaischen Feldherren nicht erkannt hatte, erklärte, Odysseus sei mit einem königlichen Siegel und dem Befehl gekommen, sechs Pferde zum Palast zu bringen. Man hatte ihn für einen Boten des Königs gehalten und ihm widerspruchslos die Pferde ausgehändigt. Erst als sie gingen, fielen einem Apollonpriester ihre achaischen Sandalen auf. Er ahnte den Betrug und ließ sofort Alarm schlagen.
Paris ließ den Wachposten, der sich hatte täuschen lassen, hängen.
Als man ihm Odysseus vorführte, sagte er zu ihm: »Gibt es einen Grund, aus dem ich dich nicht an der höchsten Mauer aufhängen lassen sollte, du Pferdedieb?«
Odysseus erwiderte: »In meiner Heimat hängen wir Frauenräuber, Troianer. Nur, weil du uns allen gezeigt hast, wie schnell du rennen kannst, bist du inzwischen nicht nur noch ein Gerippe, das an den hohen Mauern Spartas baumelt. Dann hätte keiner von uns die Heimat verlassen und all diese Jahre hier kämpfen müssen. « Man hatte Priamos geweckt, und er eilte herbei. Er sah seinen alten Freund unglücklich an und sagte: »Wie ich sehe, bist du immer noch ein Pirat, Odysseus. Aber es gibt eigentlich keinen Grund, dich zu hängen. Wir waren immer bereit, Gefangene gegen Lösegeld freizulassen.«
»Was möchtest du als Lösegeld?« fragte Odysseus den König. Paris beachtete er nicht mehr.
»Zwölf Pferde«, antwortete Paris.
Odysseus erwiderte mit einer Handbewegung: »Hier sind sechs! Die sechs anderen sollt ihr bekommen. «
Paris schnaubte über diese Unverfrorenheit. »Das sind unsere Pferde. Wir wollen zwölf von deinen Pferden.«
Odysseus fragte: »Wo bleibt die Frömmigkeit, Freund? Diese Pferde sind bereits Poseidon geweiht. Ich kann sie dir nicht zurückgeben. Sie gehören bereits dem Erderschütterer.«
Paris sprang auf Odysseus zu und wollte ihm einen Faustschlag versetzen. Aber Odysseus wehrte ihn mühelos ab.
»Priamos, deinem Sohn fehlen diplomatische Formen. Ich möchte lieber mit dir verhandeln. Du kannst die Pferde zurücknehmen, wenn du bereit bist, den Erderschütterer durch deinen Geiz zu erzürnen. Ich habe geschworen, IHM diese Pferde zu opfern. Glaubst du wirklich, ER wird Troia auch weiterhin Schutz gewähren, wenn du IHM das Opfer vorenthältst?«
Priamos erwiderte: »Wenn du die Pferde Poseidon versprochen hast, gehören sie dem Gott. Ich bin einem Gott gegenüber nicht geiziger als du. Also gehören diese Pferde Poseidon. Und wir bekommen zwölf Pferde von euch als Lösegeld für dich.«
»So sei es«, stimmte Odysseus zu. Priamos ließ seinen Herold kommen und trug ihm auf, die Botschaft ins achaische Lager zu bringen. Agamemnon wird das nicht gefallen, dachte Kassandra. Sie wünschte Odysseus nichts Schlechtes. Obwohl er im Heer des Feindes kämpfte, betrachtete sie den alten Seeräuber immer noch als Freund , was er in ihrer Kindheit auch gewesen war. In einem Kästchen bewahrte sie immer noch die schöne Bernsteinkette auf, die er ihr vor Jahren geschenkt hatte.
Odysseus verabschiedete sich, um die Übergabe des Lösegeldes zu veranlassen, und Paris warf seinem Vater vor: »Du Narr! Willst du diese Pferde wirklich opfern? Was bedeutet dir ein Versprechen, das Odysseus gibt? Du glaubst doch nicht, er wollte sie opfern?«
»Das könnte gut sein«, erwiderte Priamos, »und was haben wir zu verlieren? Auch wir brauchen das Wohlwollen Poseidons. Und wir bekommen zwölf Pferde als Lösegeld von Odysseus. Wir opfern außer den gestohlenen noch
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