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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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benutzte, das Essen, das sie regelmäßig zurückwies. Zunächst hatte sie geglaubt, es seien im wesentlichen die Nachwirkungen des Schlags, den Ajax ihr versetzt hatte - Kopfverletzungen riefen oft Schwindelgefühle und Verwirrung hervor. Als es ihr nach einiger Zeit nicht besser ging, dachte sie, das schwankende Schiff sei daran schuld.

    Inzwischen fragte sie sich voll Angst und Abscheu, ob sie vielleicht schwanger war - sie berechnete die vergangene Zeit nach dem Mond. Als sie das erste Mal mit Aeneas schlief, hatte sie kaum darüber nachgedacht. Man brachte den Priesterinnen bei, eine Schwangerschaft zu vermeiden, wenn sie das wollten; aber diese Mittel versagten oft. Auf dem Schiff war sie zu krank gewesen, um an solche Vorsichtsmaßnahmen zu denken. Sie hatte sich mit dem Gedanken abgefunden, daß sie früher oder später von Aeneas ein Kind bekommen würde. Aber es bestand kaum die Wahrscheinlichkeit, daß sie sein Kind im Leib trug. Seit dem Schlag auf den Kopf fiel es ihr schwer, sich genau daran zu erinnern, wann er das letzte Mal mit ihr zusammen gewesen war, oder wann der Körper ihr zuletzt den Beweis erbracht hatte, daß sie  nicht  schwanger war. Also war es vermutlich Agamemnons Kind oder, noch schlimmer, das Kind von Ajax, der sie vergewaltigt hatte. 
    Kassandra hielt wenig von dem Gerede der Frauen, aber sie hatte oft gehört, daß es unwahrscheinlich sei, beim ersten Mal schwanger zu werden. Beweise für das Gegenteil hatte sie allerdings trotzdem gesehen … Wenn schon, dann hoffte sie, es sei Agamemnons Kind. Ihn haßte sie, aber er hatte sie nicht mit Gewalt genommen. Natürlich gefiel es ihr nicht, seine Leibeigene und Kriegsbeute zu sein.  Mein ganzes Leben habe ich ihn gefürchtet , dachte sie und erinnerte sich an die erste Begegnung im Palast, als er Hermione geraubt hatte. Aber wenigstens benahm er sich ihr gegenüber nicht schlimmer, als es in solchen Fällen Brauch war.
    Ganz sicher war es ein übler Brauch, aber er hatte ihn nicht erfunden. Vernünftigerweise konnte man ihm kaum einen Vorwurf machen, wenn er der Tradition folgte. Hätten ihre Eltern sie diesem Mann als Gemahlin gegeben, hätte er sie vermutlich nicht schlimmer und vielleicht auch nicht besser behandelt.
    Gewisserweise konnte man ihn nicht mehr tadeln als alle Achaier. In ihren Augen war er ein guter Mann. Sie wußte, ihre anhaltende Krankheit hatte ihm Sorgen gemacht. Anfangs versuchte er, ihr freundlich darüber hinwegzuhelfen, und versicherte ihr, am Anfang einer Schiffsreise sei das immer so, und sie werde sich bald an das Meer gewöhnen. Er riet ihr, viel an die frische Luft zu gehen. Als das nichts half, ließ er sie viel allein. Dafür war sie ihm dankbar. Manchmal hatte sie das Gefühl, er versuche, verständnisvoll zu ihr zu sein. Einmal erbrach sie sich über ihn (ohne sich zu entschuldigen; sie hatte ihn nicht darum gebeten und ihm auch nicht erlaubt, sie auf diese Reise mitzunehmen), und er schlug sie nicht, wie sie beinahe erwartet hatte (sie hatte einmal gesehen, wie er seinen Diener verprügelte, der Rasierwasser verschüttete), sondern ließ frisches Wasser bringen, damit sie sich den Mund ausspülen konnte. Dann nahm er sie in die Arme, deckte sie mit einem sauberen Mantel zu und versuchte, sie in den Schlaf zu wiegen.
    Das war am Anfang der Reise gewesen, als in ihr immer noch maßlose Verwirrung herrschte und rasender Haß tobte. Sie sah ihn nicht an, sprach kein Wort, und er hatte bald den Versuch aufgegeben, sich mit ihr über das Land zu unterhalten, an dem sie vorüberfuhren. Inzwischen wünschte Kassandra, sie hätte ihn zu solchen Gesprächen ermuntert. Das Wissen wäre vielleicht nützlich für eine Flucht gewesen. Nach Troia konnte sie nicht zurück - es gab nichts mehr, wozu sie hätte zurückkehren können. Aber sie konnte nach Kolchis, wo Königin Imandra oder die Priesterin im Haus der Schlangenmutter sie aufnehmen würden. Sie konnte auch nach Kreta fliehen; auf den Inseln dort gab es viele Tempel, in denen eine in Heilkünsten bewanderte Priesterin, die auch das Schlangenwissen besaß, Schutz finden würde.
    Kassandra wurde nicht streng bewacht. Möglicherweise deshalb nicht, weil es anfangs offensichtlich war, daß sie mit der Kopfwunde und der Seekrankheit nicht einmal gehen, geschweige denn den Versuch wagen konnte, sich aufzulehnen oder zu fliehen.
    Während sie jetzt auf dem sonnigen Deck vor dem Zelt lag, das sie mit Agamemnon teilte, und dem langsamen Trommelschlag lauschte,

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