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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Schrecken versetzt, bis der Held Theseus ihn erschlug.
    Als kleines Mädchen hatte Kassandra die Geschichte geglaubt; jetzt fragte sie sich, ob sie überhaupt etwas Wahres enthielt. Sie hatte gesehen, was hinter den Märchen über die Kentauren lag, und glaubte, hinter all diesen Geschichten verberge sich irgendeine Wahrheit.
    Es gab entstellte Menschen, die in Verhalten und Aussehen Tieren glichen, und sie dachte, vielleicht sei der Minotauros auch ein solcher Mensch gewesen, der an seinem Körper oder seinem Geist das Zeichen der angenommenen Tiergestalt seines Vaters trug.
    Sie wollte unbedingt wissen, was aus Paris und seinem schönen weißen Stier geworden war. Junge Frauen, besonders die aus dem Königshaus durften die Rinderausstellungen nicht besuchen, die überall im Land stattfanden. Aber sie hatte davon gehört und war sehr neugierig.
    Die Frauen erwachten, und kurze Zeit später vertrieben die Bewegung und die Stimmen in ihrer Umgebung die Ruhe, die Kassandra brauchte, um Paris folgen zu können. Sie sprang mit leichtem Bedauern auf und fing ihre Stute ein.
    In den nächsten Tagen sah sie ihren Bruder ein- oder zweimal ganz kurz, der den geschmückten Stier den Berg hinunterführte; er überquerte einen Fluß (dabei beschädigte er seine neuen Sandalen), und er traf auf andere Wanderer, die wie er geschmückte Tiere trieben. Aber keines war so schön und so stark wie sein Stier.
    Der Mond wurde rund und stand von Sonnenuntergang bis zum Sonnenaufgang am Himmel. Tagsüber blendete die grelle Sonne, und der weiße Staub glitzerte. Kassandra saß schläfrig auf dem Pferderücken, während sich die Stuten langsam grasend in dem eng gehaltenen Kreis fortbewegten. Sie beobachtete, wie sich Staubwirbel in die Luft erhoben und über das Gras tanzten, ehe der Wind sie auseinandertrieb. Sie dachte an den ruhelosen Gott Hermes, den Gott der Winde, der Listen und der Täuschung.
    Tagträumend bemerkte sie, wie einer der kleinen Wirbelwinde erzitterte, bebte und sich in einen Mann verwandelte. Und so folgte sie dem ruhelos tanzenden Wind über die Ebene nach Westen bis zum Fuß des Ida. Im blendenden Sonnenlicht verschwamm ein goldener Strahl vor ihren Augen, veränderte sich und wurde zu einem großen, strahlenden Mann mit dem Antlitz des Sonnengottes; und vor den beiden Göttern lief ein Stier.
    Kassandra hatte die Geschichte von Apollons Stieren gehört - große, glänzende Tiere, schöner als jedes irdische Tier. Und das war zweifellos einer: der breite Stiernacken und die glänzenden Hörner brauchten weder Gold noch, Bänder, um im Licht zu strahlen. Ein Spielmann am Hof ihres Vaters hatte einmal eine der ältesten Balladen gesungen. Sie erzählte die Geschichte von dem jungen Hermes, der Apollons heilige Herde entführte und Apollons Zorn besänftigte, indem er aus der Schale einer Schildkröte eine Leier für ihn fertigte. Die strahlenden Augen des heiligen Stiers und das schimmernde glänzende Fell verdrängten die Erinnerung an den Stier des Paris, der ihn mit solcher Hingabe geschmückt hatte. Das war nicht gerecht: Wie konnte sich ein sterblicher Stier mit dem heiligen Tier eines Gottes messen?
    Kassandra beugte sich mit geschlossenen Augen vor. Sie hatte gelernt, auf dem Pferderücken zu schlafen und ihren Körper den Bewegungen des Tieres anzupassen, als habe er keine Knochen. Jetzt schlug sie zum Schutz gegen das Sonnenlicht die Augen nieder, fiel in einen leichten Schlummer, und ihr Geist suchte den Bruder. Vielleicht war es Apollons Stier, der sie zu dem Tier führte, das Paris zur Ausstellung trieb.
    Kassandra blickte durch die Augen ihres Bruders auf die vielen, dort versammelten Tiere und suchte ihre Vorzüge und ihre Schwächen. Diese Kuh hatte zu schmale Flanken, jene häßliche braune und rosa Flecken am Euter; dieser Stier hatte gedrehte Hörner und eignete sich nicht zum Wächter seiner Herde, jener hatte einen Höcker im Nacken. Paris dachte voll Stolz, daß kein Tier weit und breit es mit dem Stier aus seiner Herde aufnehmen konnte, den er mit solcher Hingabe geschmückt und hierher gebracht hatte. Er würde den Preis dem Stier seines Ziehvaters zusprechen können. Zum zweiten Mal hatte man ihn zum Richter über die Tiere gewählt, und das machte ihn stolz auf sein Können und auf das Vertrauen der Nachbarn und anderen Hirten in sein Urteil.
    Er ging zwischen den Tieren hin und her, bedeutete jemandem freundlich, eine Kuh näher zu führen, damit er sie besser sah, oder ein anderes Tier, das

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