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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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für einen Preis nicht in Frage kam, wegzuführen.
    Er hatte bereits die beste Färse und das beste Kalb bestimmt und dann unter beifälligem Gemurmel die schönste Kuh. Es war wirklich ein prächtiges Tier mit einem blaßweißen Fell und zartgrauen Flecken, die beinahe blau wirkten. Sie hatte sanfte, mütterliche Augen, und ihr Euter war so glatt und gleichmäßig rosa wie die Brüste einer Jungfrau. Die Hörner waren klein und standen weit auseinander, und ihr Atem roch nach dem Thymian im Gras.
    Jetzt mußte er sein Urteil über die Tiere sprechen. Paris ging zufrieden zu Schneeweiß hinüber, dem Stier seines Ziehvaters. Nachdem er einen ganzen Tag Rinder begutachtet hatte, wußte er, er hatte kein einziges Tier gesehen, das Schneeweiß gleichkam, und Paris fühlte sich berechtigt, dem Stier den Preis zuzusprechen. Er wollte bereits sein Urteil verkünden, als er die beiden Fremden mit ihrem Stier entdeckte.
    Der Jüngere sprach ihn an - Paris vermutete, daß es der Jüngere war -, und Paris wußte sofort, er stand dem Übernatürlichen gegenüber. Es war seine erste Begegnung dieser Art, aber der strahlende Blick aus den Augen unter dem Hut, und etwas in der Stimme des Mannes, die von sehr weit und doch sehr nahe zu kommen schien, verriet ihm: das war kein gewöhnlicher Mensch. Kassandra erkannte an dem überirdischen Glanz, der die goldenen Locken umspielte, IHREN Gott ohnehin. Und vielleicht, ohne daß es Paris bewußt wurde, erfaßte ihn etwas von dem Geist seiner unbekannten Schwester.
    Er sagte laut: »lhr Fremden, bringt den Stier näher, damit ich ihn betrachten kann. Ein so prächtiges Tier habe ich noch nie gesehen.«  Aber vielleicht hat der Stier einen Makel, den nan nicht auf den ersten Blick erkennt,  dachte Paris und begutachtete ihn von allen Seiten. Nein, die Beine waren wie Marmorsäulen, selbst in der Art, wie er den Schwanz bewegte, lag etwas Edles. Er hatte glatte, dicke Hörner, und in den wilden Augen lag auch etwas Sanftes. Der Stier ließ sich sogar gelangweilt gefallen, daß Paris ihm vorsichtig das Maul öffnete und die fehlerlosen Zähne betrachtete.
    Mit welchem Recht bringt ein Gott seinen vollkommenen Stier hierher, damit Sterbliche ein Urteil über ihn fällen ? fragte sich Paris. Nun gut, es war Schicksal, und es wäre anmaßend, sich gegen das Schicksal zu stellen.

    Er winkte den Mann wieder zu sich, der das Seil um den Hals des Stieres hielt und sagte mit einem bedauernden Blick auf Schneeweiß: »Ich sage es nicht gerne, aber ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen so prächtigen Stier gesehen. Fremder, der Preis gehört euch. «
    Das strahlende Lächeln des Unsterblichen verschwamm in der Sonne, und als Kassandra erwachte, hörte sie eine Stimme - nein, mehr ein Echo ihrer Gedanken:  Dieser Mann ist ein ehrlicher Richter, vielleicht kann er den Streit schlichten, den Paris ausgelöst hat . Dann saß sie allein im Sattel, und Paris war verschwunden; diesmal konnte sie ihn nicht auf ihren Wunsch hin zurückrufen. Sie sah ihn lange Zeit nicht mehr.

7

    Sie hatten das Land der Amazonen kaum erreicht, als das Wetter sich änderte. An dem einen Tag stand die blendende Sonne noch vom frühen Morgen bis zum späten Abend am Himmel, und über Nacht war alles anders. Es schien nur verregnete Tage und feuchte, nasse Nächte zu geben. Das Reiten machte nicht länger Vergnügen. Es wurde zu erschöpfender Anstrengung und Qual. Für Kassandra bedeutete jeder Tag einen ständigen Kampf gegen Kälte und Nässe.
    Die Amazonen ließen die Feuer an den geschützten Lagerplätzen nicht ausgehen. Viele lebten in Höhlen, andere in Zelten mit dicken Lederwänden und -dächern, die in dicht belaubten Wäldchen standen. Kleine Kinder und Schwangere gingen überhaupt nicht mehr ins Freie, sondern drängten sich dicht um die rauchenden Feuer.
    Manchmal lockte die Wärme. Aber Mädchen ihres Alters galten bei den Amazonen als Kriegerinnen. Deshalb hüllte sie sich in einen schweren Mantel aus dicker, geölter Wolle und ertrug die Nässe so gut sie konnte.
    Kassandra wuchs, während die Regenzeit sich langsam dahinschleppte. Als sie eines Tages zu einer der seltenen warmen Mahlzeiten am Lagerfeuer vom Pferd sprang, wurde ihr deutlich bewußt, daß sich ihr Körper rundete: unter den groben, weiten Kleidern wölbten sich kleine Brüste.
    Von Zeit zu Zeit sah sie vor ihren inneren Augen beim Reiten ohne ihr Zutun den ihr so ähnlichen Jungen. Er war inzwischen größer; seine gewebte Tunika

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