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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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»Er steht nicht weit unter ihr, Herrin. Er ist der Sohn eines Königs.«
    »Ich kenne deine königlichen Ziehsöhne«, sagte Penthesilea. »lch erinnere mich auch daran, wie Theseus unsere Königin Antipoe nahm und sie hinter den Mauern einer Stadt leben und sterben mußte. Wie auch immer, das Mädchen steht unter meiner Obhut, und wer es anfaßt, hat es zuerst mit mir zu tun.«
    Der Junge lachte und ließ Kassandra los. »Vielleicht wird dein Vater mehr von mir halten als deine Tante, wenn du erst erwachsen bist. In ihrem Stamm sind Männer und Ehen nicht beliebt.«
    »Bei mir auch nicht«, sagte Kassandra und rückte von ihm ab. 
    »Vielleicht bist du anderer Meinung, wenn du älter wirst«, sagte der Junge, beugte sich vor und küßte sie auf die Lippen. Kassandra wich zurück und wischte sich heftig die Lippen. Die Kentauren lachten. Sie bemerkte, daß die verkrüppelte Frau aus dem Dorf sie mit gerunzelter Stirn beobachtete.
    Die Amazonenkönigin rief ihre Frauen zu den Pferden und half einer, den versprochenen Honig auf den Rücken ihrer Stute zu heben. Dann durchschnitt sie den Strick, der die Füße der jungen Frau aus dem Dorf fesselte und half ihr auf ein Pferd, wobei sie freundlich auf sie einredete. Die Frau weinte nicht mehr; sie ging bereitwillig mit ihnen. Der Kentaur umarmte Penthesilea, ehe sie aufsaß.
    »Können wir euch nicht überreden, die Nacht in unseren Zelten zu verbringen?«
    »Ein andermal vielleicht«, versprach Penthesilea und umarmte ihn herzlich. »Leb wohl.«
    Kassandra dachte verwirrt: Sind diese Männer und Jungen die schrecklichen Kentauren der Geschichten? Sie wirkten so freundlich. Aber sie fragte sich, in welcher Beziehung sie zu dem Amazonen standen. Die Männer behandelten die Amazonen nicht wie die Soldaten ihres Vaters die Frauen des königlichen Haushalts. Der hübsche Junge, der sie geküßt hatte, trat neben das Pferd und lächelte zu ihr empor.
    »Sehe ich dich vielleicht beim Auftrieb?« fragte er. Kassandra wurde rot und blickte beiseite. Sie wußte nicht, was sie ihm antworten sollte. Es war der erste Junge, mit dem sie gesprochen hatte, wenn man von ihren Brüdern absah. Penthesilea wies die Frauen an, ihr zu folgen, und Kassandra stellte fest, daß sie weiter ins Landesinnere ritten und daß vor ihnen die Hänge des Ida aufragten. Sie dachte an den jungen Mann mit ihrem Gesicht, den sie in der Wasserschale gesehen hatte, und der die Schafe dort hütete.
    Er ist vielleicht ein Hirte , aber ich werde reiten lernen, dachte sie. Immer noch benommen vom Wein beugte sie sich vor, hielt sich an Elaria fest, und beim wiegenden Gang des Pferdes schlief sie ein.
    Die Welt war größer, als Kassandra sich vorgestellt hatte; obwohl sie vom ersten Tageslicht bis zum Einbruch der Dunkelheit geritten waren, schienen sie sich immer noch in der Ebene zu befinden. Hinter ihnen sah Kassandra immer noch die Hügel von Troia; sie schienen sich nicht weit von der Stadt entfernt zu haben. In der klaren Luft glaubte sie manchmal, nur den Arm ausstrecken zu müssen, um die glänzende Spitze, den Tempel der Athene berühren zu können.

6
    Nach ein paar Wochen kam es Kassandra vor, als hätte sie schon immer bei den Amazonen gelebt. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend setzte sie keinen Fuß auf die Erde; schon vor dem Frühstück saß sie im Sattel der dunklen Fuchsstute, die sie reiten durfte. Kassandra nannte sie Südwind. Mit anderen Mädchen ihres Alters hielt sie Wache vor Eindringlingen; abends trieben sie die Pferde zusammen und beobachteten die Sterne.
    Kassandra liebte Elaria, die sich um sie kümmerte wie um die eigenen Töchter, die elf und siebzehn Jahre alt waren. Sie betete Penthesilea an, obwohl die Amazonenkönigin selten mit ihr sprach und sich nur täglich nach ihrer Gesundheit und ihrem Wohlergehen erkundigte. Kassandra wurde stark, ihre Haut war inzwischen gebräunt und sehr gesund. In der endlos brennenden Sonne der Ebene sah sie das Antlitz des Sonnengottes Apollon, und sie glaubte, schon immer unter seinen Augen gelebt zu haben.
    Sie war schon mehr als einen Mond bei den Amazonen, als der Stamm sich eines Tages zum kärglichen Mittagsmahl aus scharfem Stutenmilchkäse niederließ. In der Ferne sah man den Berg Ida, und Kassandra erzählte Penthesilea alles über ihre merkwürdige Vision.
    »Sein Gesicht glich völlig meinem Gesicht, das ich im Wasser sehe«, sagte sie. »Aber als ich von ihm sprach, hat mein Vater mich so heftig geschlagen, daß ich stürzte,

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