Die Feuer von Troia
oder unverheiratet«, sagte Imandra. »Und ich weiß nicht, was du unter glücklich verstehst. Wer hat dir so dumme, rührselige Vorstellungen in den Kopf gesetzt?«
Zum ersten Mal ergriff Penthesilea das Wort. Sie sagte: »Laß sie, Imandra. Du hast beschlossen, daß sie heiraten soll, und deshalb ist es nur gut, wenn sie damit zufrieden ist. Ein Mädchen weiß in diesem Alter nicht, was oder warum es etwas möchte. Bei unseren Mädchen ist es nicht anders als bei euren. «
Kassandra blickte auf das Mädchen mit der weichen Haut und den rosigen Wangen hinunter. »Ich glaube, du bist völlig richtig, wie du bist. Es fällt mir schwer, dich mir anders vorzustellen.«
Andromache hob die Hand und deutete auf Kassandras verbundene Wange. »Was hast du gemacht, Base?«
»Es ist nicht der Rede wert«, erwiderte Kassandra, »nur ein Kratzer.« Und tatsächlich hielt sie es angesichts von Andromaches sanften Augen für nichts anderes als eine Kleinigkeit, von der man nicht sprechen sollte.
Imandra beugte sich vor, und dabei entdeckte Kassandra den breiten, kantigen Kopf, der aus dem Mieder auftauchte. Sie streckte die Hand aus. »Darf ich?« sagte sie bittend; die Schlange glitt vor und ringelte sich um ihr Armgelenk. Imandra half nach, bis die Schlange bei Kassandra war.
Andromache betrachtete sie stirnrunzelnd. »Iih! Wie kannst du so etwas anfassen? Ich habe schreckliche Angst vor Schlangen.«
Kassandra hob die Schlange zärtlich an die Wange. »Das ist dumm von dir«, sagte sie. »Die Schlange beißt mich nicht. Und selbst wenn sie es täte, würde es mir nicht viel ausmachen. «
»Es hat nichts mit Angst vor dem Gebissenwerden zu tun«, sagte Andromache. »Es ist nicht richtig, nicht normal, keine Angst vor Schlangen zu haben. Sogar ein Affe, der sein ganzes Leben lang im Käfig gehalten wird und nie eine lebende Schlange gesehen hat, wird kreischen und zittern, wenn man nur ein Stück Seil in den Käfig wirft, weil er glaubt, es sei eine Schlange. Und ich glaube, Menschen sind von Natur aus so beschaffen, daß auch sie sich vor Schlangen fürchten.«
»Nun ja, dann bin ich vielleicht nicht normal«, erwiderte Kassandra ärgerlich. Sie senkte den Kopf und sprach leise und liebevoll zu der Schlange.
Imandra sagte freundlich: »Das ist nichts für jedermann, Kassandra. Nur für jemanden, der mit der Bindung zu den Göttern geboren wurde wie du. «
»Das verstehe ich nicht«, erklärte Kassandra mißmutig. Sie wollte jetzt allem widersprechen, was man ihr sagte. Sie streichelte die Schlange und murmelte: »Ich habe vor kurzem geträumt - vielleicht war es auch eine Art Vision - und die Göttinnen gesehen. Aber die Schlangenmutter war nicht unter ihnen.«
»Du hast geträumt? Erzähle mir deinen Traum«, sagte Imandra. Aber Kassandra zögerte. Sie glaubte, der Zauber würde nachlassen, wenn sie darüber sprach. Er war ihr als ein heiliges Geheimnis geschenkt worden und für niemanden sonst bestimmt. Sie warf Penthesilea einen flehenden Blick zu, denn sie wollte auch die Königin nicht verletzen, die so gut zu ihnen gewesen war.
»Ich rate dir, den Traum zu erzählen, Kassandra«, sagte die Amazonenkönigin. »Imandra ist eine Priesterin der Erdmutter, und vielleicht kann sie dir sagen, was dieser Traum für dein Schicksal bedeutet.«
Durch diese Worte ermutigt, berichtete Kassandra in allen Einzelheiten von der Vision und schloß mit ihrer Verwirrung darüber, daß unter den Göttinnen weder die Jungfrau noch die Schlangenmutter noch die Erdmutter erschienen war. Imandra hörte aufmerksam zu und unterbrach sie auch dann nicht, als Kassandra von der Erinnerung überwältigt nur noch flüsterte.
Als sie schließlich schwieg, fragte Imandra ruhig: »War das deine erste Begegnung mit einem der Unsterblichen?«
»Nein, Herrin. Ich habe gesehen, wie die Muttergöttin von Troia durch meine Mutter sprach, obwohl ich damals noch sehr klein gewesen sein muß. Und einmal -«, Kassandra schluckte, senkte den Kopf und versuchte, ihre Stimme unter Kontrolle zu bringen, da sie wußte, sie würde sonst grundlos anfangen, heftig zu weinen, »einmal … hat Apollon der Sonnengott … in SEINEM Tempel … klar und deutlich zu mir gesprochen.«
Sie spürte Imandras Hand sanft auf ihrem Haar.
»Es ist so, wie ich es mir dachte, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Du bist zur Priesterin berufen. Weißt du, was das bedeutet?«
Kassandra schüttelte den Kopf und versuchte, es sich vorzustellen.
»Muß ich im
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