Die Feuer von Troia
lachen.
»Nein, das tut sie nicht. Und deine Mutter? Hat sie keinen Gemahl?«
»Was sollte sie mit einem Gemahl? Seit mein Vater tot ist, hat sie sich zwei- oder dreimal für einige Zeit einen Gefährten genommen und ihn wieder weggeschickt, wenn sie ihn satt hatte. Eine Königin kann das tun, wenn sie einen Mann haben möchte - zumindest in unserer Stadt.«
»Und trotzdem bist du bereit, meinen Bruder zu heiraten und dich ihm unterzuordnen wie unsere Frauen ihren Männern?«
»Ich glaube, mir wird es gefallen«, erwiderte Andromache. Dann rief sie: »Oh, sieh doch!«
Ein strahlendes Licht schoß über den Himmel und war sofort wieder verschwunden. Gleich darauf folgte ein anderes und dann noch eines; es strahlte so hell, daß die Erde zu schwanken schien, als der Himmel plötzlich so nahe rückte. Stern um Stern schien den Halt zu verlieren und herunterzustürzen. Staunend beobachteten die beiden Mädchen dieses seltene Schauspiel. Kassandra murmelte: » … und dort bleibt, bis die Frühlingssterne fallen … «
Aus der Dunkelheit löste sich ein Schatten, teilte sich, und Königin Imandra und Penthesilea erschienen auf dem Dach.
»Ich hatte mir gedacht, daß ihr vielleicht hier seid, Mädchen. Es ist so, wie sie uns gesagt hat«, erklärte Penthesilea und blickte zum strahlenden Himmel hinauf, wo ein Stern nach dem anderen sich vom Firmament zu lösen und als glänzendes Licht herabzufallen schien. »Ein Schauer fallender Sterne.«
»Aber wie können die Sterne fallen? Werden sie alle vom Himmel fallen? Und was wird geschehen, wenn sie alle heruntergefallen sind?«
Penthesilea erwiderte lachend: »Keine Angst, mein Kind. Ich habe die Sternenschauer seit vielen Jahren gesehen. Es bleiben immer genug am Himmel zurück.«
»Außerdem«, fügte Imandra hinzu, »sehe ich nicht, wieso es uns hier auf der Erde beeinträchtigt, wenn sie alle herunterfallen würden. Natürlich würde es mir leid tun, auf ihr Licht verzichten zu müssen.«
»Einmal«, sagte Penthesilea, »ich war damals noch jung und lebte bei meiner Mutter und ihrem Stamm, ritten wir über die Ebene weit im Norden von hier. Es war bei den Eisenbergen. Plötzlich stürzte in unserer Nähe mit lautem Zischen und Knattern und einem gleißenden Lichtschein ein Stern herunter. Wir suchten die ganze Nacht nach ihm. Die Luft roch verbrannt, und schließlich fanden wir einen großen schwarzen Stein, der immer noch rot glühte. Deshalb glauben viele, Sterne seien geschmolzenes Feuer, das beim Abkühlen zu Stein erstarrt. Meine Mutter hat mir dieses Schwert hinterlassen, und ich habe gesehen, wie es aus dem Himmelsmetall geschmiedet wurde.«
»Himmelseisen ist besser als Eisen, das der Erde entrissen wird«, stimmte Imandra zu. »Vielleicht deshalb, weil es nicht von der Mutter verflucht wurde, denn es ist nicht aus der Erde gerissen worden, sondern ein Geschenk der Götter.«
»lch wünschte, ich würde einen gefallenen Stern finden«, murmelte Andromache. »Die Sterne sind so schön.«
Kassandras Arm lag noch um ihre Schulter. Andromaches Stimme klang so traurig, daß Kassandra murmelte: »lch wünschte, ich würde einen finden, um ihn dir zu geben als ein Geschenk, das deiner würdig ist, kleine Schwester.«
Penthesilea sagte: »Also können wir jetzt in unser Land und zu unseren Weiden zurückkehren. Aber wir wissen noch nicht, weshalb uns die Göttin hierher geschickt hat.«
»Aus welchem Grund auch immer«, sagte Imandra, »es war mein Glück. Vielleicht wußte die Göttin, daß ich euch hier brauche. Wenn ihr in den Süden zurückkehrt, sollt ihr meine Geschenke mitnehmen. Und wenn einige deiner Frauen sich entschließen zu bleiben und die Frauen meiner Wache unterrichten, sollen sie gut bezahlt werden.« Imandra blickte nach oben, wo immer noch Sterne über den dunklen Himmel schossen. Sie murmelte: »Vielleicht schickt die Göttin dies als ein Zeichen für deinen Weg, der dich zu ihr führt, Kassandra. Als ich SIE vor langer Zeit gesucht habe, um IHR meinen Dienst anzubieten, gab es kein solches Zeichen«, fügte sie beinahe neidisch hinzu.
»Wohin muß ich gehen?« fragte Kassandra. »Und muß ich allein gehen?«
Imandra berührte in der Dunkelheit sanft ihre Hand. Sie sagte: »Es ist ein geistiger Weg, mein Kind. Du mußt keinen einzigen Schritt tun. Und obwohl du viele Begleiterinnen haben wirst, legt jede den Weg allein zurück, denn vor den Göttern ist die Seele immer allein.«
Das Licht der fallenden Sterne blendete Kassandra,
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