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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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beinahe nicht ertragen konnte. In dieser Nacht schlief Kassandra nicht.

15
    Andromache, nicht Kassandra entdeckte zuerst die mächtigen hohen Mauern von Troia in der Ferne. Überwältigt rief sie: »Troia ist wirklich größer als Kolchis. «
    »Ich habe es dir ja gesagt«, erwiderte Kassandra.
    »Ja, aber ich habe es nicht geglaubt. Ich konnte nicht glauben, daß eine Stadt tatsächlich größer als Kolchis sein kann. Was ist das für ein glänzendes Gebäude ganz oben über der Stadt. Ist es der Palast?«
    »Nein, es ist der Tempel der Jungfrau. In Troia sind die höchsten Punkte den Unsterblichen vorbehalten. Und sie ist unsere Schutzgöttin, Sie hat uns die Olive und die Weinrebe geschenkt.«
    »König Priamos kann kein großer König sein«, erklärte Andromache. »In Kolchis darf kein Gebäude, selbst der Tempel einer Göttin nicht, den königlichen Palast überragen.«
    »Aber ich weiß, deine Mutter ist eine fromme Frau, die die Göttin achtet«, sagte Kassandra. Sie erinnerte sich, daß es ihr bei ihrer Ankunft in Kolchis gotteslästerlich vorgekommen war, daß das Haus einer Sterblichen so hoch stand. Ihre Augen suchten den Tempel des Sonnengottes mit seinen goldenen Dächern; dann zeigte sie Andromache den Palast.
    »Er ist nicht so hoch, aber er kann sich mit dem Palast in Kolchis messen«, sagte sie Andromache. Nachdem sie sich in Sichtweite der Stadt befanden, überprüfte Kassandra vorsichtig ihre Gefühle - so vorsichtig, wie man mit einem schmerzenden Zahn kaut. Nach der Zeit der Freiheit wußte sie nicht, welche Gefühle die Rückkehr nach Troia in ihr weckte. Sie sehnte sich beinahe schmerzlich danach, ihre Mutter und ihre Schwester Polyxena wiederzusehen, und ohne daß sie sich darum bemühte, suchte ihr Geist das nicht faßbare und verwirrende Bindeglied zu ihrem Zwillingsbruder, der manchmal wirklicher war als sie selbst.

    Ich will nicht wieder eingesperrt sein. Dann verbesserte sie sich: Ich werde nicht zulassen, daß sie mich wieder einsperren. Niemand kann mich einsperren, wenn ich nicht bereit bin, mich einsperren zu lassen.
    Sie sah sich nach ihrer Eskorte um und wünschte beinahe, sie könnte mit den Frauen in das Land der Amazonen zurückkehren. Penthesilea war nicht bei ihnen; sie hatte gesagt, nach der langen Abwesenheit müsse sie die Angelegenheiten des Stammes wieder ordnen. Kassandra wußte, wenn sie bei den Amazonen lebte, würde man sie jetzt mit den anderen Frauen im gebärfähigen Alter in die Dörfer der Männer schicken, um für den Stamm ein Kind zur Welt zu bringen. Sie glaubte, auch dazu bereit zu sein, wenn das der Preis für das Leben in Penthesileas Stamm wäre.
    »Was ist los?« fragte Andromache. »Ist heute ein Festtag?«

    Durch die Tore kam eine Prozession - lange Reihen von Männern und Frauen in Festtagskleidern zogen mit blumen- und bändergeschmückten Tieren vor die Stadt. Kassandra wußte nicht, ob eine Ausstellung oder ein Opfer bevorstand. Dann entdeckte sie Hektor und einige andere ihrer Brüder im kurzen Lendentuch, das sie bei Wettkämpfen trugen, und sie wußte, es mußte der Tag der Spiele sein. Frauen nahmen daran nicht teil, obwohl ihre Mutter einmal erzählt hatte, daß Frauen früher auch beim Laufen, Speerwerfen und Bogenschießen angetreten waren. Kassandra wär eine gute Bogenschützin und wünschte, ihre Brüste wären noch so klein, damit sie sich als Junge ausgeben könnte, um beim Bogenschießen dabeizusein. Aber die Zeiten für solche Verkleidungen waren vorbei. 
    Ergeben dachte sie:  Nun ja, eines Tages wird mein Können im Umgang mit Waffen für meine Stadt vielleicht noch von Nutzen sein - wenn nicht bei den Spielen, dann im Krieg.  Dann entdeckte sie am Ende des Zuges einen Streitwagen mit der kleiner gewordenen, aber immer noch eindrucksvollen Gestalt ihres Vaters Priamos. Sie wollte vom Wagen springen und ihn umarmen, aber der Anblick seiner grauen Haare entsetzte sie. Dieser alte Mann war praktisch ein Fremder! Auf einem kleineren Streitwagen hinter ihm stand ihre Mutter. Sie trug die Insignien der Göttin. Hekabe schien sich überhaupt nicht verändert zu haben. Kassandra stieg vom Wagen und trat vor, verneigte sich als Zeichen ihrer Achtung tief vor ihrem Vater. Dann lief sie schnell zu ihrer Mutter und warf sich in ihre Arme.
    »Du kommst zu einer guten Stunde, mein Liebling«, sagte Hekabe. »Aber was für eine stattliche Frau bist du geworden! In dieser großen Amazone hätte ich meine kleine Tochter kaum wiedererkannt. «

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