Die Feuer von Troia
zu segnen …«
Die dunklen Fluten in Kassandra drohten wieder, aufzusteigen und sie zu überwältigen. Die Angst schlug über ihr zusammen; mit größter Anstrengung gelang es ihr, nicht laut das Entsetzen und die schrecklichen Ahnungen hinauszuschreien, die drohten, sie zu ersticken.
Feuer, Tod, Blut, das Ende für Troia … für uns alle.
Das strenge, zornige Gesicht ihrer Mutter ließ sie schweigen. Sie umarmte Andromache betäubt vor Angst, griff nach der schönen kleinen Statue, streckte sie ihr entgegen und murmelte: »Möge SIE dir Fruchtbarkeit schenken, kleine Schwester.« Im Hemd, mit ausgebürsteten Haaren, die ihr über die Schultern fielen, den geschminkten großen und schwarzgeränderten Augen wirkte Andromache beinahe wie ein Kind. Kassandra, noch immer im Bann der dunklen Fluten ihrer Vision, kam sich inmitten all dieser Mädchen, die Hochzeit spielten, ohne die leiseste Ahnung zu haben, was vor ihnen lag, uralt und verbraucht vor.
Jetzt hörte man den Gesang der Männer, die Hektor die Treppe hinauf zu seiner Braut geleiteten. Andromache klammerte sich an Kassandra und flüsterte: »Du bist als einzige keine Fremde für mich. Ich bitte dich, wünsche mir Glück. «
Kassandras Kehle war so trocken, daß sie kaum ein Wort über die Lippen brachte.
Wenn es nur so leicht wäre, Glück zu gewähren, als Glück zu wünschen. Sie murmelte mühsam: »lch wünsche dir Glück, Schwester.«
Aber es wird kein Glück geben - nur Unheil und das größte Leid auf der Welt…
Durch die fröhlichen Hochzeitslieder hindurch konnte sie beinahe die qualvollen Klageschreie hören, und als Hektor, von seinen Freunden geleitet, das Gemach betrat, färbte das Fackellicht ihre Gesichter rot, und Blut schien darüber zu strömen … Oder waren es nur die Knochen ihrer Gesichter, die wie Totenschädel leuchteten?
Die Priesterin stand am Bett und reichte Andromache und Hektor den Hochzeitsbecher. Kassandra dachte: Eigentlich wäre das meine Aufgabe. Aber ihr Gesicht war vor Angst erstarrt, und sie wußte, sie hätte es nie über sich gebracht, ihrer Freundin den Becher in die Hand zu drücken.
»Sieh nicht so traurig aus, kleine Schwester«, sagte Hektor und strich ihr leicht über das Haar. »Bald bist du an der Reihe. Beim Mahl hat unser Vater davon gesprochen, daß er als nächstes einen Mann für dich finden will. Weißt du, daß Achilleus, der Sohn des Königs Peleus, um deine Hand angehalten hat? Vater sagt, es sei prophezeit, daß er der größte Held aller Zeiten sein wird, und vielleicht wird eine Hochzeit mit einem Achaier die dummen Kriege endlich beenden - obwohl ich lieber gegen Achilleus kämpfen und den Ruhm ernten möchte.«
Kassandra umklammerte erregt Hektors Schultern.
»Bedenke wohl, worum du bittest«, flüsterte sie, »denn ein Gott könnte dir deinen Wunsch erfüllen. Bitte darum, Achilleus nie auf dem Schlachtfeld zu begegnen.«
Hektor sah sie angewidert an und nahm entschlossen ihre Hände von seinen Schultern.
»Als Prophetin bist du ein Unglücksrabe, Schwester, und ich möchte dein Krächzen in meiner Hochzeitsnacht nicht hören. Geh in dein Bett und laß uns hier in Ruhe.«
Kassandra spürte, wie die dunkle Flut wich; sie blieb leer, krank und erschöpft zurück und wußte absolut nicht, was sie gesagt hatte. Sie murmelte: »Vergib mir, ich wünsche dir nichts Böses. Du weißt doch, ich wünsche dir und unserer Base aus Kolchis nur Gutes…«
Hektors Lippen berührten flüchtig ihre Stirn.
»Es war ein langer Tag, und du bist weit gereist«, sagte er. »Und nur die Götter wissen, welche Verrücktheiten man dir in Kolchis beigebracht hast. Kein Wunder, daß du vor Erschöpfung außer dir bist. Gute Nacht, kleine Schwester, und - soviel zu deinen Omen!« Er griff nach der Fackel neben dem Bett und löschte sie schnell. »Mögen sie sich alle ebenso in nichts auflösen!«
Sie drehte sich schwankend um, als die Frauen den letzten Hochzeitsgesang anstimmten. Sie wußte, sie hätte mitsingen sollen, aber nicht um alles in der Welt hätte sie auch nur einen Ton hervorbringen können. Unsicher entfernte sie sich von dem Bett, verließ das Brautgemach und eilte in ihr eigenes Zimmer. Sie sank auf ihr Bett und machte sich nicht einmal die Mühe, das Gewand abzulegen oder sich die Schminke vom Gesicht zu wischen. Sie schlief ein, als die dunkle Flut wieder über sie hereinbrach und das letzte Echo der fröhlichen Lieder verschluckte.
17
Viele Tage hallte der Hafen vom Dröhnen
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