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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Vielleicht findet er einen Weg, dich dazu zu bringen, daß du auf ihn hörst.« 
    Kassandra wußte, daß ihm ihre Empörung nicht entging, denn er fügte etwas freundlicher hinzu: »Komm, kleine Schwester, glaubst du, ich wäre hier draußen und würde mich mit Schild und Speer bis zur Erschöpfung abmühen, wenn ich bequem im kühlen Haus bleiben könnte? Ein Kampf mag dir ganz schön erscheinen, wenn es nur darum geht, mit Speeren und Pfeilen zu spielen, und wenn nur deine Freunde und Brüder gegen dich antreten. Aber sieh her!« Er schob den bunt bestickten Ärmel seiner Wolltunika weit nach oben und zeigte ihr eine lange rote Wunde, die in der Mitte immer noch näßte. »Es schmerzt mich immer noch, wenn ich den Arm bewege. Der Krieg ist nicht so aufregend, wenn man wirklich kämpft und verwundet wird. «
    Kassandra betrachtete die Wunde, die den glatten, muskulösen Körper ihres Bruders verunzierte, und ihr krampfte sich seltsam der Magen zusammen; sie zuckte zurück und erinnerte sich daran, wie sie dem Mann die Kehle durchschnitten hatte, der sie vergewaltigen wollte. Sie wollte es Hektor beinahe erzählen - er war ein Krieger und würde es sicher verstehen. Aber sie sah ihm in die Augen, und wußte, sie würde es nicht tun. Sie dachte, er würde sich nie darüber hinwegsetzen können, daß sie eine Frau war.
    »Sei froh, kleine Schwester, daß nur ich dich so entblößt gesehen habe«, sagte er nicht unfreundlich, »denn wenn man auf dem Schlachtfeld entdecken würde, daß du eine Frau bist… Ich habe gesehen, wie Kriegerinnen geschändet wurden, ohne daß ein einziger Mann etwas dagegen gehabt hätte. Wenn eine Frau den Schutz ablehnt, der Ehefrauen und Schwestern rechtens zusteht, ist sie schutzlos.« Er zog den Helm wieder über das Gesicht, ging mit großen Schritten davon; die Frauen sahen ihm schweigend nach. Kassandra ärgerte sich maßlos und wußte, sie sollte sich schämen, und Andromache unterdrückte ein Kichern. Schließlich prustete sie los.
    »Oh, wie zornig er war! Kassandra, wenn er auf mich so wütend gewesen wäre, hätte ich mich gefürchtet! « Sie zog das weiße Schultertuch enger um sich, denn der Wind war kühl. »Komm, gehen wir. Weißt du, er hat recht. Wenn ein anderer Mann dich gesehen hätte … «, sie verzog den Mund und sagte mit einem übertriebenem Schaudern, »wäre sicher etwas Schreckliches geschehen.« Kassandra sah keine andere Möglichkeit, als ihr zu folgen, und Andromache hakte sich bei ihrer Schwägerin ein.
    Zum ersten Mal seit längerer Zeit wurde sich Kassandra wieder der prophetischen Dunkelheit bewußt, die sie erfüllte.
    Beim Üben mit der Waffe hatte sie beinahe vergessen, was sie am Abend der Hochzeit aufschreien ließ. Jetzt sah sie durch dieses dunkle Wasser hindurch Andromache und um sie herum etwas anderes, über dem ein kaltes, erschreckendes Feuer von Leid und Entsetzen lag. Aber vor dem Schmerz kam soviel Freude, daß sie Andromache die Hand auf den Arm legte und leise drängend fragte: »Bist du schwanger?«
    Andromache lächelte - nein, dachte Kassandra, sie strahlte. 
    »Glaubst du? Ich war mir noch nicht sicher. Ich dachte, ich werde vielleicht die Königin fragen, wie ich es herausfinden könnte. Deine Mutter war so gut zu mir, Kassandra. Meine Mutter hat mich nie verstanden oder anerkannt, weil ich weich und feige bin und keine Kriegerin werden wollte. Aber Hekabe liebt mich so wie ich bin, und ich glaube, sie wird sich freuen, wenn es wirklich so ist.«
    »Zumindest das weiß ich sicher«, sagte Kassandra. Weil sie Andromaches Frage zuvorkommen wollte: »Woher weißt du es?« suchte sie nach Worten, damit sie nicht versuchen mußte, das dunkle Wasser und den schrecklichen Feuerschein zu erklären. »Einen Augenblick lang kam es mir vor«, sagte sie, »daß ich dich mit Hectors Sohn in den Armen sehen konnte.«
    Andromache sah sie freudestrahlend an, und Kassandra war erleichtert darüber, daß sie mit ihrer ungewollten Gabe wenigstens einmal Freude und nicht Furcht hervorgerufen hatte.
    In den folgenden Tagen nahm sie an den Waffenübungen nicht mehr teil, ging aber oft hinaus, um zu sehen, wie die Schiffsbauer vorankamen. Niemand machte ihr deshalb einen Vorwurf. Das Schiff wuchs Tag für Tag in dem großen Stapelschlitten auf dem Sand, und noch beinahe ehe Andromaches Schwangerschaft für ein ungeübtes Auge sichtbar wurde, war es fertig zum Stapellauf. Ein weißer Stier wurde geopfert, während es mühelos die Rampe hinunter ins Wasser

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