Die Feuerinseln: Das Geheimnis von Askir 5 (German Edition)
widerfahren kann.«
Er sah mich an und blinzelte. Dann stieß er ein unterdrücktes Lachen aus und verbeugte sich erneut, tiefer und kurios elegant für jemanden, der eine solch schwere Rüstung trug. »Verzeiht, dass ich an Eurem Stand gezweifelt habe«, meinte er und zeigte gerade Zähne. »Aber jemand, der mir einen solchen Strick auslegen kann, wird seinen Witz mit Sicherheit am Hof geschliffen haben.« Er schaute zu den Bahren zurück, schüttelte den Kopf und sah mich dann wieder eingehend an. »Ich kann an Eurem Argument keinen Fehler finden, Graf, also sei es so. Niemand soll behaupten, dass ein di Cortia einer Frau seinen Schutz verweigert!« Er griff an die Schnalle seines Umhangs, löste sie und trat mit dem Umhang über dem Arm an Janis’ Bahre heran. Die Soldaten beäugten ihn misstrauisch, aber sie taten einen Schritt beiseite. Sorgsam breitete der Baron den Umhang über sie und trat dann zurück. Er wandte sich an seine vier Kameraden. »Diese Frau, Janis ist ihr Name, steht unter dem Schutz von di Cortia. Wir geleiten sie zum Tempel des Boron.«
So kam es dann, dass unsere beiden verletzten Seeschlangen von einer Tenet kaiserlicher Legionäre und fünf königlichen Gardisten in das Haus des Boron geleitet wurden. Als uns dort ein verschlafener Priesterschüler das Tor öffnete und ein anderer davonrannte, um einen Priester zu wecken, reichte ich dem Baron respektvoll seinen Mantel zurück. Er nahm ihn mit einer Verbeugung an.
»Heute Abend wird im Theater das Lamento des Buro gegeben. Es wäre mir eine Ehre, Euch bei diesem Anlass in meiner Loge begrüßen zu dürfen.«
»Habt Dank für Euren Schutz, Baron«, sagte ich und deutete eine Verbeugung an. »Ich werde da sein.«
Er warf mir noch einen letzten forschenden Blick zu, gab seinen Männern ein Zeichen, drehte sich um und marschierte mit ihnen davon.
»Danke, General«, sagte Devon leise zu mir. »Ich beginne zu glauben, dass ich mich in Euch getäuscht habe.« Dann eilte er tiefer in den Tempel, um einen hageren Mann zu begrüßen, der die Roben Borons trug.
Ich zögerte einen kurzen Moment, dann tat auch ich den Schritt über die Schwelle des Tempels. Als einziger Gott erlaubte Boron den Gläubigen, Waffen mit in den Tempel zu nehmen, das war also kein Problem, dennoch fühlte ich mich unwohl.
Bernik nahm seinen Helm ab und folgte mir, der Rest der Tenet nahm vor den Tempelstufen eine bequeme Haltung ein. Der Korporal sagte nichts, als ich tiefer in den Tempel ging. Wie die meisten Gotteshäuser war auch das Haus Borons um die zentrale Halle herum errichtet, ein breiter Gang führte dorthin. In der Mitte der Halle, auf einer Insel, umgeben von einem Wassergraben, stand die Statue des Gottes. Anders als in anderen Tempeln trug er keine Robe mit einer Kapuze, die sein Gesicht zum Teil bedeckte, sondern einen altmodischen Plattenharnisch. Er stand aufrecht da, die Arme vor der Brust verschränkt, eine schwere goldene Kriegskeule hing an seiner Seite.
Das Gesicht des Gottes war in jedem Tempel gleich, die Künstler, die solche Statuen schufen, gehörten meist dem Glauben des entsprechenden Gottes an und verrichteten ihre Arbeit in einer ekstatischen Trance. Dass die Gesichter dabei immer gleich ausfielen, galt als einer der Beweise für die Wahrhaftigkeit der Götter.
Boron wurde als ein junger, glattrasierter Mann mit kurzen, sorgfältig geschnittenen Haaren dargestellt, mit geraden Augenbrauen und Nase, einem kantigen Kinn und durchdringenden stahlblauen Augen, die durch einen Trick der Künstler lebendig wirkten und tief in die eigene Seele zu blicken schienen.
Ich blieb vor seinem Standbild stehen und sah hoch zu ihm. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass es kaum jemanden gab, der das Antlitz Soltars kannte. Auch Astarte wurde verhüllt gezeigt, aber einmal im Jahr stand die Göttin nackt in all ihrer makellosen Schönheit vor ihren Gläubigen. Nur Soltar zeigte sich immer bis aufs Kinn verhüllt. Wenn für seine Statue nach Jahren eine neue Robe nötig wurde, war es der Hohepriester selbst, der sie ihm anlegte.
Boron blickte streng auf seine Gläubigen hinab, aber es lag auch Verständnis in diesen Zügen. Dann fiel mir auf, dass er eine kleine Narbe am linken Auge trug, eine, die genäht worden war. Wie konnte es sein, dass ein Gott eine Narbe hatte? Etwas anderes fand ich ebenfalls befremdlich: Ich hatte ihn mir größer vorgestellt. Soltar war von meiner Größe, doch Boron war gut anderthalb Köpfe kleiner. Das letzte Mal, als ich
Weitere Kostenlose Bücher