Die Feuerinseln: Das Geheimnis von Askir 5 (German Edition)
Reichsstadt. Und doch hatte sie einen Arzt an Bord, der sich nichts dabei dachte, einem den Schädel zu öffnen und darin herumzustochern. Und das auch noch so, dass man es überleben konnte.
Vielleicht war ich neidisch. Ich hatte jedes Buch gelesen, dessen ich hatte habhaft werden können. Ich hatte nicht gewusst, dass es in der Kronstadt eine Tempelakademie gab. Wenn ich dort Zugang gehabt hätte, hätte ich liebend gern jedes Buch gelesen und sicherlich gewusst, was es bedeutet, etwas zu requirieren . Leandra wusste es ganz bestimmt.
Elgata und Mendell waren nicht hochnäsig oder arrogant, nur überrascht. Warum also lag es mir so schwer im Magen?
Zweihundertundsiebzig Jahre lang hatte ich das Schwert Soltars getragen. In meiner Heimat kannte jeder die Legende vom Wanderer, dem Schweinehirten, der durch Soltars Tor ging, um eine Stadt zu retten. Die Ballade von Ser Roderic und den vierzig Getreuen wurde auch noch immer gesungen. Es gab noch andere Legenden über mich. Wenn jemand wusste, wer ich war, begegnete er mir mit Respekt, manchmal sogar mit Ehrfurcht. Wenn ich sprach, hörte man mir zu. Niemand zweifelte an mir, denn ich brauchte nichts anderes zu tun, als Seelenreißer neben mich zu stellen, um den Beweis zu erbringen, dass ich der Wanderer war. Immer wieder hatte ich behauptet, dass es mir nicht recht gewesen war, dass ich meistens keine Wahl gehabt hatte … Ich hatte mit falscher Bescheidenheit die Menschen in die Irre geführt. Wie hatte ich mich geziert, als Leandra mich fragte, ob ich Roderic von Thurgau sei!
Ich hatte Seelenreißer verflucht. Soltar auch. Ihn für alles verantwortlich gemacht. Es war ein Wunder, dass der Gott mir keinen Blitz geschickt hatte. Nun, einmal hatte er das getan, aber das war schon so lange her, dass ich es fast vergessen hatte. Und damals hatte ich meinen Gott noch nicht verflucht.
Diesmal hatte Soltar meine Gebete erhört. Seelenreißer lag auf dem Grund des Meeres, ich war aus dem Dienst meines Gottes entlassen. Hier im Alten Reich kannte niemand Roderic von Thurgau oder den Wanderer, der nicht sterben konnte. Niemand hier erstarrte in Ehrfurcht vor mir, wenn er nur meinen Namen hörte.
Elgata, Mendell und Amos bewerteten mich nicht anhand des Schwerts, das ich an der Seite trug, sondern anhand dessen, was sie sahen. Ohne den Ring, den ich mir selbst angesteckt hatte und der nur einfach nicht mehr abgehen wollte, hätten sie mich höflich ignoriert, bis sie mich irgendwo an Land setzen konnten.
Ohne Seelenreißer in der Hand war ich nur ein mittelmäßiger Kämpfer. Als Jarek mir beinahe die Klinge aus der Hand geschlagen hatte, hatte mich die Angst derart gepackt, dass nicht viel fehlte, und ich hätte mich vor den Piratenkapitänen selbst befleckt. Es war keine überlegene Kampfeskunst, die mich gegen Jarek bestehen ließ, es war sein Fehler und einfach nur meine Reaktion darauf. Danach war mir so schlecht gewesen, dass ich wie Espenlaub gezittert hatte und mir das Schwert aus der Hand fiel.
Was Celan anging … Es gab einfach kein anderes Wort dafür: Ich war feige vor ihm geflohen.
»So nachdenklich, General?«, fragte Amos hinter mir, während er sich geschickt über das massive Geländer des Vorkastells schwang. Er kam federnd neben mir auf und grinste breit. »Ich sehe, Ihr habt nicht lange gebraucht, um den besten Platz des Schiffs ausfindig zu machen.«
Es hatte mir besser gefallen, als er mich noch geduzt hatte.
»Es ist ein guter Ort«, stimmte ich ihm zu. »Man fühlt sich den Elementen nahe.«
»Ach«, meinte er. »Wenn Ihr lange genug an Bord seid, dann werdet Ihr den Elementen näher kommen, als Ihr es möchtet. Wartet mal einen anständigen Sturm ab … Wenn es keine Trennung zwischen den Himmeln und den Wassern gibt, wenn eines zum anderen wird, dann betet man nur noch darum, dass es aufhört.« Er lachte und zeigte weiße Zähne. »Anschließend gibt man freilich in der Taverne damit an, dass die Wogen höher waren als der Mast.« Er stützte sich neben mich auf das Geländer und beobachtete den Delphin. »Es gehört zur Seefahrerei dazu. Genau wie das nasse Grab, das vielen von uns bevorsteht. Glaubt nicht, dass die Piraten anders verfahren als wir«, sagte er. »Sie erlauben sich manchmal nur noch einen zusätzlichen Spaß. Schlitzen einem den Bauch auf, damit die Haie kommen, bevor sie einen schwimmen schicken. Oder ziehen einen als Köder hinter dem Schiff her oder unter dem Kiel hindurch, wo die Muscheln einem die Haut bis auf die
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