Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter
ohne dass ihre Lippen erneut einen Weg zueinander fanden. Und doch steckte sehr viel in dieser Umarmung, mehr als sie selbst wollten.
»Wann kommst du mich wieder besuchen?«
»Sobald ich ein wenig Zeit habe.«
Adhara sah ihm nach, wie er sich entfernte, und spürte dabei überdeutlich, dass sich zwischen ihnen ein Graben aufgetan hatte.
In den darauffolgenden Tagen bemühte sich Amhal, sein von früher gewohntes Leben wieder aufzunehmen. Er sah San weniger häufig als zuletzt, obwohl dieser ihn, wenn er nicht
auf Streife war, immer mal wieder aufsuchte, um mit ihm zu trainieren – Magie und Fechtkampf – im Wald, ein wenig außerhalb der Stadt.
Doch die Begegnung mit Adhara, seine Gefühle für sie, die er nicht länger zu unterdrücken vermochte, Miras Rückkehr – all das verwirrte ihn.
Amhal war jetzt zur Überwachung der Stadtmauer eingesetzt. Im übrigen Land der Sonne breitete sich die Seuche trotz aller Quarantänemaßnahmen und Kontrollen rasch immer weiter aus. Mit der Folge, dass Makrat vielen wie ein sicherer Hafen erschien, das einzige Bollwerk, das den Attacken der Seuche standhielt.
Vor allem nachts versuchten immer wieder einzelne Verzweifelte, in die Stadt zu gelangen. Amhal konnte sie ausmachen, düstere Schatten, die sich unter der Mauer zusammendrängten und um Barmherzigkeit flehten oder aber wie Insekten die Mauer hinaufzuklettern versuchten. Und jede Nacht wehrte er mit dem Schwert diese armen Teufel ab, die dort draußen starben, ohne dass ihnen jemand zu Hilfe kam. Einmal hatte er San darauf angesprochen, der sofort diese Sicherheitsmaßnahmen verteidigte.
»Es gibt keinen anderen Weg, Amhal. Stell dir nur vor, wie viele Tote es hier in der Stadt gäbe, wenn wir sie hereinließen. Nein, ganz Makrat wäre verloren, und damit auch das gesamte Land der Sonne. Es ist richtig, für ein höheres Ziel, glaub mir.«
Und Amhal glaubte ihm gern, um dieser schrecklichen Aufgabe, die zusätzlich noch die Tobsucht in seinem Inneren anstachelte, einen Sinn abzugewinnen.
Seit Mira zurück war, versah er in Begleitung seines Meisters diesen Dienst. Mit müden Schritten, die Augen fest ins Dunkel gerichtet, umliefen sie die Mauer.
In einer solchen Nacht geschah es. Aus schweren Gewitterwolken prasselte der Regen auf die Stadt nieder. Die weite Ebene zu ihren Füßen, die Makrat umgab, war nur noch eine
kaum durchdringbare breiig düstere Fläche. Angestrengt lauschend, starrten sie in die Dunkelheit, doch der Regen übertönte jeden anderen Laut, und die Wolkenschicht verdüsterte noch den matten Schein der Sterne und machte sie fast blind.
Vielleicht war es das Funkeln eines metallischen Gegenstands im kalten Licht eines Blitzes, der den Himmel zerriss. Amhals Augen nahmen es kaum wahr, doch seine Muskeln spannten sich augenblicklich an. Er gab Mira ein Zeichen und zog dann sein Schwert. Geduckt schlich er in die Richtung, aus der das Glitzern gekommen war, sein Meister gleich hinter ihm.
Da, wieder ein Blitz, der einen Eisenhaken ein paar Dutzend Ellen vor ihnen erhellte. Amhal schlich weiter, bis er plötzlich einen Luftzug schräg hinter sich spürte. Als er herumfuhr, sah er nur noch einen Schatten, der auf Mira fiel. Dann schon der Schlag, ungenau und mit zitternder Hand ausgeführt, und ein Schmerz, der seinen Rücken durchfuhr. Er schrie auf, schwang sein Schwert und drehte sich ganz herum. Da erblickte er ihn: einen Jungen, einen Jungen mit einem kurzen Gegenstand in der Hand, wahrscheinlich einem Dolch.
Er sah, wie er die Treppe eines der Wachtürme hinabstürzte, und setzte ihm nach. Mit jedem Schritt durchfuhr seinen Rücken ein stechender Schmerz, doch davon ließ er sich nicht aufhalten. Sein Jagdinstinkt war stärker sowie diese Worte, die er von San gehört hatte: »Es ist für ein höheres Ziel.«
Wie ein Gebet sagte er sie sich in einem fort auf und schaffte es so, jeden anderen Gedanken auszulöschen und nur die Wut toben zu lassen, jene Kraft, die er durch San zu schätzen gelernt hatte. Er sah, wie der Junge die letzten Stufen hinuntersprang und dann davonhuschte in die nächstbeste Gasse hinein. Noch schneller setzte Amhal ihm nach, mit schmerzendem Rücken, während ihm der Regen ins Gesicht peitschte.
Ein Sprung, und er war über ihm, und schon flog der Dolch davon und fiel klimpernd zu Boden. Er ist entwaffnet , dachte er, doch schon im nächsten Moment hatte sein Geist diese Erkenntnis vergessen. Denn seine Finger kribbelten, und die Mordlust war stärker als
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