Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter
dieser Welt Treue geschworen, hat sich mit all seinen Kräften dafür eingesetzt, die Sicherheit dieser Stadt zu gewährleisten, hat uns bewiesen, dass er es nicht bei schönen Worten belässt, sondern auch handelt.«
Seufzend lehnte Neor sich in seinem Rollstuhl zurück. Manchmal konnte sein scharfer Verstand eine echte Strafe sein: Er vertrieb Illusionen, schaute hinter den Schleier der Gefühle, legte die nüchterne Struktur der Fakten bloß. »Ich klage ihn nicht an. Ich denke nur laut.«
Wieder schaute er hinaus. Er fühlte sich erschöpft, wusste er doch, dass die Last der Ereignisse – der Kampf gegen die Seuche und nun dieser rätselhafte Mord – ganz allein von seinen Schultern zu tragen war. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatten die Säulen dieses Reiches auf den starken Schultern seines Vaters geruht, die auch ihm selbst Schutz boten. Doch mit dem Alter wurden die Eltern wieder zu Kindern, und ihre Söhne und Töchter mussten erwachsen werden und mehr und mehr ihren Platz einnehmen. »Ist das alles?«, fragte er.
Learco und Dubhe hatten nichts hinzuzufügen und verließen den Raum.
Neor sah ihnen nach, und es versetzte ihm einen Stich ins Herz. Seine Eltern waren alt geworden.
In den Tagen nach der Bestattung schien Amhal in einen Alptraum ohne Ende zu versinken. Er verschanzte sich in der
Akademie und wollte niemanden sehen, erschöpfte sich mit stundenlangem Training, brachte sich Verletzungen bei und dachte nicht mehr daran, seinen Pflichten nachzukommen. In der ersten Zeit nahmen seine Vorgesetzten es hin: Alle konnten seine Trauer nachempfinden und wollten ihn nicht bedrängen. Doch irgendwann erwachte der Unmut: Man versuchte, mit ihm zu reden, ihn zur Vernunft zu bringen. Doch das Einzige, was man erntete, waren Beschimpfungen und Beleidigungen. Einmal ging Amhal sogar so weit, einen Adjutanten, der nichts anderes im Sinn hatte, als nach ihm zu sehen, mit dem Schwert anzugreifen. Eine schwerwiegende Verfehlung, die Amhal auch Kerkerhaft hätte eintragen können, wären seine Vorgesetzten nicht so großzügig gewesen, darüber hinwegzusehen und ihm noch eine Chance zu geben.
Eines Nachts verließ Adhara trotz der Ausgangssperre heimlich den Palast. Sie war zutiefst besorgt und hatte immerzu Amhals Gesicht vor Augen, aus dem jede Regung verbannt war. Mit pochendem Herzen durchquerte sie die Stadt und erreichte ohne Zwischenfälle die Akademie.
Schließlich stand sie vor seiner Tür. »Amhal, mach auf, ich bin’s«, rief sie und trommelte gegen das Holz.
Bald taten ihr die Hände weh, doch sie gab nicht auf, schlug immer weiter wie von Sinnen, und erst als sie den Schmerz in den Händen schon fast nicht mehr spürte, erschien er endlich auf der Schwelle, unrasiert, das Gesicht eingefallen, das Hemd fleckig und zerknittert.
Wortlos ließ er sie herein.
»Warum bist du gekommen?«, fragte er nach einer Weile. Seine Stimme war rau wie die eines Menschen, der lange nicht mehr geredet hat.
»Ich glaube, ich verstehe deinen Schmerz. Doch irgendwann muss man anfangen zu kämpfen.«
Amhal bedachte sie mit einem bitteren Lächeln. »Du verstehst überhaupt nichts. Wem warst du schon mal eng verbunden?
Niemandem. Du hast keinen Vater und keine Mutter und weißt nicht, was es heißt, jemanden zu verlieren, der so wichtig für dich war, der dir alles bedeutete.«
Harte, verletzende Worte, und Adhara musste die Tränen niederkämpfen. Sie biss sich auf die Lippen. »Ich habe dich. Und ich hatte auch ein Leben – bevor Mira starb. Ein Leben, das ich mir selbst mühsam aufgebaut hatte. Und jetzt habe ich nichts mehr außer der Erinnerung an den Tag, als ein Mann vor meinen Augen umgebracht wurde und ein anderer durch meine Hand gestorben ist. Auch ich habe etwas verloren.«
Amhal schien getroffen und wandte den Blick ab. »Mira war alles für mich. Er gab mir Kraft. Wenn er an meiner Seite war, wusste ich, dass ich es schaffen kann. Und nun ist er gegangen, völlig sinnlos, ermordet, meuchlings niedergestreckt von einem verdammten Feigling. Und mich hat er zurückgelassen mit unzähligen Fragen, auf die ich keine Antworten weiß. Das Letzte, was er von mir gesehen hat, war mein verhängnisvoller Fehler an jenem furchtbaren Abend, als ich ihn so enttäuscht habe, als ich grundlos tötete.«
Adhara legte ihm eine Hand auf den Arm. Da war er, ihr Amhal, unter dem Mantel der Trauer, der Verzweiflung verborgen, aber unversehrt. Es gab also noch Hoffnung, dachte sie. »Besinne dich, stell dich
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