Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter
Kälte, die unter die Haut und in die Glieder kroch. Neor ließ den Kopf gegen die Lehne zurücksinken.
Er dachte an seinen Vater und die dreißig gemeinsamen Jahre, die das Schicksal ihnen gewährt hatte, dachte an die Zeit, als er noch ein Junge war und laufen konnte, erinnerte sich an ihre gemeinsamen Spiele und das Bild, das er immer von ihm hatte: ein Mann, der nicht zu bezwingen war, ein großer König.
Die Tage nach seinem Unfall fielen ihm wieder ein; er sah seinen Vater vor sich, der an seinem Bett stand und ihm die Hand hielt. Auch im Schmerz hatte er nichts von seiner Größe verloren, und wenn er ihn an seiner Seite spürte, hatte Neor sich behütet gefühlt.
»Ich bin nur noch ein halber Mann«, hatte er einmal zu ihm gesagt, und die Züge seines Vaters hatten sich so verhärtet, dass er eine Ohrfeige erwartete. Doch die blieb aus.
»Sag das nie wieder! Was zählt, ist nicht der Körper, sondern
der Geist. Wenn du dich aufgibst, wenn du es zulässt, dass die Verzweiflung die Oberhand gewinnt, bist du tatsächlich nur noch ein halber Mann, ein Mann, der sich nur noch selbst bemitleiden kann. Aber wenn dein Wille stark ist, ist deine Seele frei, überwindet alle Fesseln des Körpers und kann dich hoch hinaustragen.«
Diese Worte waren es, die ihn gerettet hatten, die ihn zu dem Mann hatten werden lassen, der er heute war.
Er dachte an ihre letzte Begegnung. Das war, bevor er ihn hintergangen hatte, indem er seine Mutter veranlasste, den Mann beschatten zu lassen, den sein Vater wie kaum jemanden sonst achtete und fast als einen zweiten Sohn betrachtete. Sie waren spazieren gewesen im Park. Er sehe ein wenig blass aus, hatte er zu ihm gesagt, und wirke etwas mitgenommen.
Der König hatte gelacht. »Das nennt man das Alter. Jeden Tag zerrt es dich ein bisschen näher ans Grab: Das Aufstehen fällt immer schwerer, und die Gelenke rosten mehr und mehr ein. Aber das ist des Lebens Lauf, Neor. Ich habe mich schon lange damit abgefunden.«
Jetzt rann Neor eine Träne über die Wange. Er würde ihn niemals wiedersehen, würde ihn nicht begleiten können während seiner letzten Stunden auf dieser Erde. Wie gern wäre er zu ihm geeilt, um an seinem Sterbelager zu sitzen, zu weinen und sein Schicksal zu teilen. Aber das war unmöglich. Er musste gesund bleiben. Er musste das Königreich seines Vaters vor dem Untergang bewahren.
Er rollte an den Tisch und läutete. Nicht lange, und der Mann, den er erwartet hatte, einer seiner engsten Ratgeber, trat ein.
»Stell einen Begleittrupp aus meinen zehn besten Leibwächtern zusammen, und lass meiner Gemahlin und meinen Kindern ausrichten, sie sollen ein paar Sachen zusammenpacken, nur das Allernotwendigste, und sich zum Aufbruch fertig machen. Ebenso meine Ratgeber: Ihre Familien können
sie mitnehmen, aber ebenfalls nur mit so wenig Gepäck wie möglich. Und in den Stallungen gib Befehl, Drachen in ausreichender Zahl zu satteln, um uns alle nach Neu-Enawar zu bringen.«
»Aber, Herr … Was wird aus dem Königreich? Was wird aus dem König und der Königin?«
»Ab sofort übernehme ich das Zepter des Reiches. Der gesamte Hof wird nach Neu-Enawar verlegt.«
Der Ratgeber starrte Neor entgeistert an.
»Was ist? Du hast doch gehört, was ich gesagt habe? Nun los!«, drängte Neor ihn, und der Mann nickte zustimmend.
Dann war der Prinz wieder allein. So wie er es ab nun für immer sein würde.
28
Jenseits der Grenze
E s war nicht leicht für Adhara, im Lager eine Beschäftigung zu finden. Gleich am ersten Tag versuchte sie, irgendeine militärische Aufgabe übertragen zu bekommen. gendeine militärische Aufgabe übertragen zu bekommen. Aber der Befehlshaber lachte ihr nur ins Gesicht.
»Glaubst du wirklich, man könnte so mir nichts, dir nichts Soldat werden? Glaubst du, es reiche, einen Dolch am Gürtel zu tragen, um zu uns zu gehören? Frauen gehören hier nur in die Flüchtlingszelte oder ganz nach Hause, wo du auch besser geblieben wärest.«
Noch am Abend desselben Tages sprach sie Amhal darauf an, als er von seinem Einsatz zurückkehrte. Abgekämpft, das Schwert blutbesudelt, betrat er mit erloschenem Blick sein Zelt.
»Ich will mit dir kommen.«
Er schaute durch sie hindurch.
»Erlaube mir, dich und San bei eurem Einsatz zu begleiten.«
»Kommt nicht infrage.«
»Warum nicht?«
»Das ist nichts für eine Frau.«
»Das höre ich schon, seit ich hier bin. Dabei weiß niemand, was wirklich in mir steckt. Außer dir. Du weißt, dass ich kämpfen
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