Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter
verdrängen und unter einer künstlich angelegten Stadt den Schauplatz einer entsetzlichen Tragödie zu begraben. Doch die Erinnerungen kehren zurück und beanspruchen ihren Platz in der Gegenwart, und der schwarze Staub weht vom Wald bis hierher und überzieht die ganze Stadt.«
Adhara blickte sich um und stellte fest, dass dieser Staub tatsächlich überall war. Sie fragte sich, wie dieser Ort wohl früher ausgesehen haben mochte, als er noch eine Art Mausoleum, das Grabmal einer dem Erdboden gleichgemachten Stadt war. Doch es gelang ihr nicht, eine Vorstellung zu entwickeln, die über das, was sie vor sich hatte, hinausging: klobige Gebäude, breite, baumbestandene Straßen, die kleinliche Ordnung einer künstlichen Stadt.
Viertel auf Viertel durchquerten sie, immer entlang breiter, gerader Straßen. Adhara kannte sich mit Städten zwar nicht aus – ihre Kenntnisse beschränkten sich auf Salazar und Laodamea -, doch spürte auch sie etwas Gewolltes, Unnatürliches. Das kam vor allem dadurch zum Ausdruck, dass
jedes Viertel einen eigenen architektonischen Stil besaß: Es war schon bizarr, wie etwa ein Stadtteil, in dem sich nur hohe Gebäude in Kastenform aneinanderreihten, plötzlich von Straßenzügen mit Häuschen aus Holz und Stroh abgelöst wurde, Steinhäuser von marmornen Palästen. Und dazu diese Atmosphäre aufgesetzter Fröhlichkeit, die alles einzulullen schien.
Amhal hat Recht, hier fehlt die Geschichte .
Und sie musste an ihre eigene Geschichte denken, ihr verödetes Gedächtnis, ihre Herkunft aus dem Nichts, das sie geboren hatte. Auch eine Art unnatürliches Leben, ein künstlich geschaffenes Geschöpf, nichts anderes war sie.
»Erinnerst du dich wirklich an gar nichts?«, fragt Mira plötzlich, so als habe er ihre Gedanken erraten.
Adhara schüttelte den Kopf. »Die Wiese, auf der ich lag, ist meine erste Erinnerung. Hin und wieder treten einzelne Bruchstücke von Erfahrungen oder Fähigkeiten, von denen ich nichts wusste, zutage, aber echte Erinnerungen sind das nicht. Selbst meinen Namen, Adhara, hat Amhal mir gegeben.«
Mira lächelte. »Wie findest du ihn eigentlich?«
Diese Frage kam sehr unvermittelt, und sie fühlte sich überrumpelt. »Er ist mein Retter«, antwortete sie und spürte dabei, dass diese einfache Erklärung nicht annähernd den ganzen Reichtum der Gefühle ausdrückte, die sie für ihn empfand.
»Interessant, dass du das sagst. Wenn man bedenkt, wie lange Amhal nach etwas gesucht hat, das ihn selbst retten kann … Und manchmal denke ich, er hat es immer noch nicht gefunden.«
Das spüre sie auch, lag es Adhara auf der Zunge, aber es kam ihr fast wie ein Frevel vor, mit einem Mann über Amhal zu reden, der ihn so viel besser kannte als sie selbst.
Was weißt du schon von ihm? Nur weil du einige Tage mit ihm gereist bist, willst du dir anmaßen, ihn beurteilen zu können?
» Ich glaube an ihn«, fügte Mira, wie in eigene Gedanken vertieft, hinzu. »Ich habe immer an ihn geglaubt und möchte ihm gern Halt und Stütze sein. Dabei weiß ich, dass mir das nicht immer gelingt. Er hat ein gutes Herz. Das hast du sicher schon bemerkt.«
»Ja, ganz gewiss hat er das«, antwortete Adhara, bemüht, ihre Stimme sehr sicher klingen zu lassen.
Als sie um eine Ecke bogen, tauchte plötzlich die Bibliothek vor ihnen auf, ein mächtiges, hohes Bauwerk, das zu allen Seiten von anderen, niedrigeren Gebäuden eng umschlossen war. Vielleicht wirkte es gerade dadurch besonders hoch und beeindruckend. Wie Adhara jetzt erstaunt feststellte, handelte es sich bei dem Bibliotheksgebäude um den mit Fialen und Türmchen besetzten Glaspalast, den sie beim Anflug gesehen hatten. Er bestand tatsächlich ganz aus Glas, das aber leicht getönt war, so dass man kaum hineinsehen konnte. Sie erkannte lediglich schemenhafte Gestalten, winzige Farbtupfer, die sich hin und her, hinauf und hinunter bewegten oder auch nur ruhig dastanden und irgendetwas betrachteten. Nur durch einige ovale Fenster mit hellen Scheiben, die sich in Reihen angeordnet rings um das Gebäude öffneten, konnte das Licht ungefiltert einfallen.
Adhara ließ den Blick an dem Glaspalast hinaufwandern und staunte über diese Geschlossenheit bei gleichzeitig schwindelerregender Höhe, das geordnete Geflecht der Fialen, die sich spiralförmig dem Himmel entgegenwanden.
»Schön, nicht wahr? Das Bauwerk ist ein Geschenk der Bewohner Zalenias«, erklärte Mira. Adhara reagierte nicht. »Ach ja, das weißt du natürlich nicht …«,
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