Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter
ließ sich auch Adhara anstecken. Sie war zu erschöpft gewesen, um sich klarzumachen,
dass sie wahrscheinlich ein wichtiges neues Mosaiksteinchen ihrer Vergangenheit gefunden hatten.
»Jedenfalls kann das ein brauchbarer Ausgangspunkt sein«, bemerkte Mira. »Die Frage ist jetzt: Wieso besitzt sie diesen Dolch? War sie selbst solch eine ›Erweckte‹, was immer das genau bedeuten mag? Oder wurde sie von denen entführt?«
»Wir müssen einfach weitersuchen«, sagte Amhal.
Mira warf ihm einen vielsagenden Blick zu. »Morgen machen wir uns auf die Heimreise.«
Dieser knappe Satz ließ die Unterhaltung verstummen.
»Aber … wir können doch nicht alles hinwerfen«, stöhnte Amhal, »jetzt, wo wir schon einen wichtigen Schritt vorangekommen sind.«
»Du hast Recht. Sie soll auch nicht alles hinwerfen. Aber wir haben unsere Verpflichtungen.«
Niedergeschlagen ließ Adhara den Blick zwischen den beiden Männern hin- und herwandern. Während des gemeinsam verbrachten Tages hatte sie Mira eigentlich schätzen gelernt. Aber was sollte das jetzt sein? Ein grausames Spiel?
»Wieso haben wir ihr dann überhaupt geholfen?«, rief Amhal.
»Weil es uns möglich war. Aber jetzt warten Pflichten auf uns, die wir nicht vernachlässigen dürfen.«
Amhal ließ sich auf seinem Stuhl zurücksinken. Ihm waren die Argumente ausgegangen.
»Du hast ja jetzt gesehen, wie du vorgehen musst«, wandte sich Mira an Adhara. »Wenn du morgen wieder in die Bibliothek gehst, suchst du einfach in den Büchern weiter, die wir heute noch nicht durchsehen konnten.«
Sie blickte ihn entgeistert an. Sie sollte allein in dieser Stadt zurückbleiben? Wo sollte sie unterkommen? Woher das Geld nehmen, das sie zum Leben brauchte?
»Dann ist also alles zu Ende«, murmelte sie.
Amhal wollte etwas erwidern, doch Mira kam ihm zuvor. »Das ist nicht wahr.«
Adhara biss sich auf die Lippen. »Doch. Es ist jetzt schon lange her, dass ich auf dieser Wiese erwacht bin, aber seitdem hat sich meine Lage eigentlich keinen Deut verbessert. Mir ist wieder eingefallen, was ein Löffel ist und wie man ihn benutzt, konnte mich erinnern, wie man ein Schloss aufbricht und dass Thenaars elfischer Name Shevrar ist. Aber von mir selbst weiß ich immer noch nichts, erkenne nicht mein Gesicht, habe keine Ahnung, wer ich bin. Und nun, da ich den ersten Hoffnungsschimmer am Horizont erkennen kann, eine Spur …«
Sie ließ den Löffel in den Teller fallen.
»Mich gibt es gar nicht«, stöhnte sie, »ich bin ein Niemand. Um aber leben zu können, muss ich wissen, wer ich bin.«
Mira nahm ihren Ausbruch gleichmütig hin: »Wir haben unser Möglichstes getan.«
Diese klaren Worte sowie die Wahrheit, die sie bargen, beschämten sie. Dennoch spürte sie, dass niemand sie wirklich verstand, dass niemand ermessen konnte, wie dramatisch ihre Lage war.
»Ich sage ja gerade nicht, dass du aufgeben sollst. Aber du musst jetzt deinen eigenen Weg finden. Amhal und ich, wir haben ein Leben, dem wir uns widmen müssen. Genau das brauchst du auch. Gewiss, auch die Vergangenheit ist wichtig, doch am allerwichtigsten ist es, sich ein Leben in der Gegenwart aufzubauen. Damit solltest du jetzt anfangen. Wir müssen fort, aber du kannst frei entscheiden, was du tun willst: Du kannst dich nach einer Arbeit umsehen und gleichzeitig weitersuchen. Es ist an der Zeit für dich, aus der Sackgasse herauszufinden, in die du geraten bist. Du existierst nur deshalb nicht, weil du dir noch keine neue Identität geschaffen hast.«
Adhara starrte auf ihren Teller. Wie sollte man etwas aufbauen, wenn um einen herum nichts als Trümmer waren?
Den Rest der Mahlzeit verzehrten sie in einem abweisenden Schweigen.
Amhal fand keinen Schlaf. Zum Teil war es der unangenehme Nachhall des beunruhigenden Traumes in der Nacht zuvor, der ihn wach hielt, teils auch die Erregung vor dem Aufbruch am nächsten Tag …
Doch der eigentliche Kern seiner inneren Anspannung war Adhara. Morgen würden sie sich Lebewohl sagen. Ein seltsames Gefühl … Sie hatten so viel zusammen erlebt in den Tagen ihrer gemeinsamen Reise, und sie war … Ja, wie war sie? Frisch. Unverfälscht. Rein. Aber vor allem brauchte sie ihn.
Er stand auf, stieg hastig in seine Hose und verließ das Zimmer. Vor ihrer Tür zauderte er einen Moment. Dann klopfte er an.
Sie öffnete auf der Stelle, die Augen rot, die Haare zerzaust, und bei diesem Anblick fühlte sich Amhal überflutet von einer großen Zärtlichkeit. Am liebsten hätte er
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