Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter
er, wer er war und wo er ihn finden konnte: In einer kleinen, unauffälligen Herberge war er abgestiegen. Der Mann in Schwarz kletterte die Außenmauer hinauf. Unter ihm die schmale, menschenleere Gasse und über ihm ein strahlender Mond, der scharfkantige Schatten warf. Der Mann in Schwarz brauchte nicht zu wissen, welches Zimmer Amhal bewohnte. Er spürte es, ganz deutlich. Nun war er sich vollkommen sicher. Dieser Junge war sein Bruder im Geist, das Geschöpf, das ihm das Schicksal zugedacht hatte, das Tor zur Verwirklichung seiner Träume. Mit einem Sprung erreichte er den Absatz vor seinem Fenster, das wegen der Hitze offen stand, hielt sich am Rahmen fest und sah hinein.
Er schlief. Sein langes Schwert lag auf dem Boden vor dem Bett, und der Dolch in Reichweite, wie es sich für einen echten Krieger gehörte. Nur mit einer Hose bekleidet, sein Leib schweißgebadet, ruhte er auf der Seite, mit einem Arm über dem Kopf, in einem rastlosen Schlaf.
Der Mann in Schwarz konnte den Blick nicht abwenden. Ja, Amhal war tatsächlich sehr jung, ein großer Junge. Genauso, wie er sich ihn vorgestellt hatte. Die schmale Falte zwischen den Augenbrauen erzählte ihm von einer gequälten Seele. Genauso war er ihm beschrieben worden. Ein verlorenes Wesen, hin- und hergerissen zwischen der Tobsucht, die immer wieder seine Sinne trübte, und dem innigen Wunsch, normal zu sein.
Doch wir beide, du und ich, wir sind nicht normal und werden es auch niemals sein. Wir beide sind für Höheres geschaffen .
Plötzlich spürte er, wie ihn ein Schwindel erfasste und ihm ein Gefühl die Eingeweide zusammenzog. Die Welt ringsum verschwand, löste sich auf in einer undurchdringlichen Finsternis.
Sie befanden sich an einem Ort der Verwüstung. Ruinen, Flammen in der Ferne, Brandgestank. Auf dem Boden Leichen, Blut, gefällte Bäume. Asche, die um sie herumwirbelte und sich in hauchdünnen Schichten ablegte.
Amhal und der Mann in Schwarz. Ein jeder spürte die Gegenwart des anderen. Nun endlich konnte der Mann in Schwarz auch das Gesicht seines Bruders im Geist sehen, das Antlitz von Marvash, dessen Spuren er so lange gefolgt war, der ihn zurückgeführt hatte an diesen Ort, den er eigentlich nie wieder hatte betreten wollen.
Amhal hingegen nahm lediglich eine undeutliche Gestalt wahr, die verschwommenen Umrisse eines schwarz gekleideten Mannes ohne Gesicht. »Wer bist du?«
Der Mann spürte seine Angst. »Du.«
Amhals Hand fuhr zum Heft seines langen Schwertes, er zog es und baute sich zum Angriff auf. »Wer bist du?«, wiederholte er.
Der Mann in Schwarz lächelte. »Bald werden wir einander begegnen, und dann, nach und nach, wirst du alles verstehen.«
»Hör auf, mir nachzustellen«, ließ sich Amhal nicht besänftigen. Seine Stimme zitterte: »Was willst du von mir? Und wo sind wir hier?«
»Am Ort, der uns vorherbestimmt ist«, antwortete der Mann in Schwarz. »Wart’s ab, du wirst alles verstehen. Und wenn du es verstanden hast, wirst du dich freudig fügen, so wie ich es einst tat.«
Da warf sich Amhal auf ihn, doch der andere hielt ihn zurück, indem er mit einer Hand sein Schwert festhielt. Die Klinge war nicht imstande, sein Fleisch zu durchdringen.
»Bist du es, der mich so quält? Der in mich gefahren ist und mir die Mordlust ins Herz gepflanzt hat?«, stöhnte Amhal.
»Gewissermaßen.« Der Mann in Schwarz entwand ihm das Schwert und warf es zu Boden. »Vertrau dich mir an,
wenn wir uns begegnen, Amhal. Ich bin die Antwort auf deine Fragen.«
Da hüllte sie die Asche, die sie umwirbelte, vollkommen ein, und das Bild löste sich auf.
Als er wieder zu sich kam, stand der Mann in Schwarz keuchend im Fenster und klammerte sich mit einer Hand krampfhaft an der Mauerkante fest. Es dauerte eine Weile, bis er wieder ganz bei Sinnen war und sich erinnerte, wo er sich befand: das Gasthaus, das Fenster, das Zimmer von Amhal, der dort schlafend lag.
Eine Vision hatte ihn überkommen, ganz klar und deutlich. Da, ein Stöhnen, und er sah, wie sich Amhal im Schlaf unruhig auf die andere Seite warf. Mit Sicherheit hatte auch er ihn gesehen. Für einen kurzen Moment, im Traum, waren sie sich bereits begegnet.
Er kletterte zurück, und als er in der Gasse wieder festen Boden unter den Füßen hatte, ließ er sich gegen die Hauswand sinken und atmete tief durch. Er war aufgewühlt. Auch wenn er es kaum glauben konnte, aber was er in der Vision gesehen hatte, machte ihm zu schaffen.
Er blickte zum Fenster hinauf. Egal wie
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