Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter
fechten.«
»Wenn du zum Reiten gehst, leihe ich dir meinen Dolch für den ganzen Tag.«
Es waren ermüdende Verhandlungen, bei denen sich aber Adhara häufig durchsetzen konnte. Andere Male war sie allerdings auch gezwungen, Amina fast mit Gewalt aus dem Park zum Unterricht zu schleifen. Immerhin versuchte das Mädchen nun nicht mehr, so wie am ersten Tag die Schuld auf sie abzuwälzen. Meistens schimpfte sie zunächst, widersetzte sich allen Anordnungen, nahm dann aber doch an ihrem Tisch Platz und erledigte ihre Aufgaben – wenn auch mit der gelangweiltesten Miene, die sie hinbekam.
Adhara hingegen erlebte diese Unterrichtsstunden mit einer vollkommen anderen Einstellung.
Am ersten Tag hatte sie noch nicht daran gedacht, zum Unterricht dazubleiben: zu lernen, zu studieren – das war doch eher etwas für hohe Herrschaften und nicht für ein armes unbedeutendes Mädchen wie sie selbst.
»Der Prinz sagt, dass Ihr gern am Unterricht teilnehmen dürft.«
Adhara war auf der Schwelle erstarrt. Vor allem deshalb, weil sie jetzt zum ersten Mal jemand mit »Ihr« ansprach. Das war schon ein eigenartiges Gefühl, und zudem hätte sie nie gedacht, dass man ihr einen solchen Vorschlag machen würde.
»Ich?«, fragte sie verwirrt, wobei sie sich auf die Brust tippte.
Der Hauslehrer hatte sich den Kneifer auf der Nase zurechtgerückt und keine Miene verzogen. »Wer sonst?«
Verdattert hatte Adhara Platz genommen und die Ohren gespitzt. Alles verstand sie nicht, denn Amina hatte schon einige Jahre Unterricht und wusste vieles, was ihr selbst noch vollkommen verschlossen war. Aber die behandelten Themen interessierten sie alle. Nun konnte sie mehr über diese Welt lernen, in die sie sich so jäh geworfen fand, und versuchen, vielleicht etwas über ihre Vergangenheit herauszubekommen.
Darüber hinaus hatte sie auch Zugang zur Bibliothek und konnte so ihre Nachforschungen weiterführen. Sie selbst hatte darum gebeten.
»Aber nur abends, wenn Amina zu Bett geht«, hatte der Hauslehrer geantwortet.
Nun war Adhara also häufig in der Bibliothek zu finden und verdarb sich dort die Augen über den Büchern. Das Lesen fiel ihr nicht schwer, ein Zeichen, dass sie offenbar in ihrer mysteriösen Vergangenheit eine gute Erziehung genossen hatte.
Nicht immer war sie in der Bibliothek allein. Als sie ihn zum ersten Mal dort erblickte, verharrte sie überrascht auf
der Schwelle. Kalth. Das Kreuz durchgedrückt und die Stirn leicht gerunzelt, saß er an einem Tisch und las bei Kerzenschein in einem dicken Wälzer. Adhara war beeindruckt von der außerordentlichen Ähnlichkeit mit seiner Zwillingsschwester Amina. Dabei war sein Gesichtsausdruck ganz anders als bei der nicht zu bändigenden Prinzessin. Kalths Züge wirkten gelassen, geprägt von angespannter Versunkenheit, sein Blick war scharf, und keine Falte durchzog seine Stirn. Ein Erwachsener, der im noch nicht ausgereiften Körper eines Jungen steckte. Adhara hatte den befremdenden Eindruck, Amina mit der Seele eines anderen vor sich zu haben. Sie wandte sich bereits wieder zum Gehen.
»Die Bibliothek ist groß. Hier haben wir beide Platz«, sagte der Junge da, ohne den Blick von den Buchseiten zu heben.
Auch seine Stimme klang erwachsen.
»Ich möchte Euch nicht stören …«
Endlich hob Kalth den Blick und lächelte sie an. Nun war auch sein Vater Neor in ihm zu erkennen. Die gleiche beruhigende Sachlichkeit trotz des gleichen schwelenden Feuers in seinen Augen.
»Du wirst doch sicher auch nur lesen wollen. Und außerdem solltest du mich duzen, schließlich bist du doch älter als ich.«
Er verrückte kaum merklich seinen Stuhl, wie um ihr Platz zu machen, und zögerlich trat Adhara näher.
Bemüht, sich nicht anders zu verhalten als an den Abenden zuvor, nahm sie das Buch zur Hand, das sie erst zur Hälfte durchhatte, und begann fleißig zu lesen. Doch Kalths Anwesenheit neben ihr, der wie eine Wachsfigur dasaß, machte sie irgendwie befangen. In aller Ruhe blätterte er seine Seiten um und machte sich immer wieder mit einer langen, eleganten Feder Notizen auf einem danebenliegenden Pergamentblatt. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie ihn und verglich im Geist seine gemessene
Ruhe mit der Wildheit, die seine Schwester unablässig anzutreiben schien.
»War sie das?«, fragte Kalth ganz unvermittelt.
Adhara schrak aus ihren Gedanken auf. Dann sah sie, dass der Junge auf ihren Arm deutete, auf einen ziemlich großen Bluterguss, eine ihrer ersten
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