Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Lippen. » Nicht Gott. Der Torwächter.« Der mächtigste Animagus auf der ganzen Welt. Jemand, der vielleicht schon viele tausend Jahre alt ist. » Und Vater Nicandro sagte, dass meine Überzeugung auf die Probe gestellt werden würde, dass ich mich als würdig erweisen müsste.«
» Was genau wollt Ihr damit sagen, Euer Majestät?«, fragt Felix mit kalter Stimme.
Ich atme so hart aus, dass es fast wie ein Schluchzer klingt. Es ist eine Sache, die Auserwählte Gottes zu sein, bei jeder Wendung im Leben erneut in Gefahr zu geraten und für ein ungewisses Schicksal ausersehen worden zu sein. Es ist eine ganz andere, ein ganzes Schiff voller guter Männer dabei aufs Spiel zu setzen.
Ich versuche zwar, das irgendwie zu erklären, aber ich weiß schon jetzt, dass Felix keine Erklärung genügen wird. » Ich bin der Gottesstreiter, wenn man Homers Afflatus glaubt. Und ich darf nicht schwanken und wanken. Ihr kennt den Text doch sicher? ›Er konnte nicht wissen, was an den Toren des Feindes seiner harrte, und er wurde wie ein Kalb zur Schlachtbank ins Reich der Hexerei geführt.‹ Dieser Absatz stellt allerdings auch in Aussicht, dass der Gottesstreiter, wenn er seinem Kurs treu bleibt, durch die Kraft von Gottes rechtschaffener rechter Hand siegen wird.«
Hector reibt sich die Nasenwurzel und stöhnt.
» Was denn?«, fragt Felix und sieht zwischen uns hin und her. » Ich glaube, ich verstehe da gerade etwas nicht?«
Ich deute auf den Sturm. » Wir müssen dort hindurch. Geradewegs hindurch. Wir dürfen in unserem Entschluss nicht schwanken und wanken.«
Der Kapitän starrt mich an. » Das kann nicht Euer Ernst sein.«
Anstelle einer Antwort lege ich meine Fingerspitzen auf den Feuerstein und lasse mich von seinem sanften Pulsieren trösten. Es ist so vertraut. Ich könnte mir nicht vorstellen, ohne ihn zu sein.
Mein Glaube ist im letzten Jahr schwer erschüttert, aber nicht gebrochen worden. Und schließlich habe ich diese Direktverbindung, diese ständige Erinnerung, dass irgendjemand oder irgendetwas meinen Gebeten zuhört, mir in schwierigen Situationen eine seltsame Macht verleiht oder mich vor Gefahren warnt. Daher habe ich gelernt, seiner Führung zu vertrauen.
Hector wendet sich jetzt an Felix. » Es ist noch keine zwei Wochen her, dass mich der Pfeil eines gedungenen Mörders traf.« Er zieht sein Hemd hoch und dreht Felix den Rücken zu, um ihm eine dünne weiße Narbe kurz unter dem Schulterblatt zu zeigen. Es sieht aus, als sei die Verletzung schon ein paar Jahre alt. Felix betrachtet sie aufmerksam. » Die Pfeilspitze streifte meine Lunge«, fährt Hector fort, bevor er den Stoff wieder sinken lässt. » Ich musste aber weiterkämpfen, deswegen verlor ich außerordentlich viel Blut. Als dann endlich Hilfe kam, war es zu spät. Ich war ein toter Mann.«
Obwohl ich weiß, wie die Geschichte weitergeht, hänge ich trotzdem an seinen Lippen und hoffe auf einen kleinen Einblick in seine Gedanken.
» Elisa hat mich geheilt«, fährt Hector fort. » Durch die Kraft ihres Feuersteins. Es hat ein paar Tage lang wehgetan«, er legt den Arm an den Körper und streckt ihn wieder, » aber jetzt ist alles in Ordnung. Nicht einmal mehr ein kleines Ziehen.«
Jetzt sieht er mich an, ganz unvermittelt. » Sie hat mein Leben gerettet. Es hat sie viel gekostet, mehr, als sie mir sagen will, aber sie hat es getan. Und wenn sie jetzt meint, dass wir in den Sturm hineinfahren müssen, dann glaube ich ihr.«
Fast könnte ich alles um mich herum vergessen, wenn er mich so ansieht, als sei ich das Einzige auf der Welt.
Felix räuspert sich. » Ihr verlangt von mir, dass ich mehr als zwanzig Leben aufs Spiel setze. Von meinem Schiff gar nicht zu reden. Wenn wir auf ein Riff liefen, dann könnte ich zumindest ein wenig von ihm retten. Vielleicht sogar eine Menge. Ich weiß nicht, ob es Euch aufgefallen ist, Euer Majestät, aber Euer Land liegt in Trümmern. Gute Arbeit ist schwer zu finden. Dieses Schiff ernährt eine ganze Reihe von Familien– nicht nur die meiner Matrosen, sondern auch die der Böttcher, die unsere Weinfässer fertigen, die der Näherinnen, die jedes Jahr wieder unsere Segel flicken, oder die der Schweinebauern, die uns das Pökelfleisch für die langen Fahrten verkaufen.«
Nur widerwillig löse ich meinen Blick von Hectors. » Oh, das weiß ich«, erwidere ich. » Ich weiß das alles und noch mehr. Es gab allein im letzten Monat vier Aufstände in Brisadulce, dank einer Steuererhöhung, zu der man
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