Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
und ich merke, dass ich die Tränen zurückhalten muss. Ich ziehe die Hand weg. Blitze teilen den Horizont, und ich sage: » Ich muss Mara erzählen, was auf uns zukommt.«
Ich fühle seinen wachsamen Blick, als ich die Treppe hinuntergehe. Stets der pflichtbewusste Leibwächter.
24
W egen der heraufziehenden Wolken bricht die Nacht früh an. Die Mannschaft zündet die Schiffslaternen an und fährt ruhig damit fort, Ladung zu sichern und die Takelung ein ums andere Mal aufs Neue zu überprüfen. Ich staune über die ruhige Art, mit der die Matrosen ihr Schicksal angenommen haben. Zwar gehen sie mir immer noch aus dem Weg, aber nachdem ich ihnen eine Weile bei der Arbeit zugesehen habe, weiß ich, dass ich mit ihnen sprechen muss. Begleitet von Hector mache ich die Runde, lege jedem die Hand auf die Schulter, frage nach seinem Namen und bedanke mich. Aus der Nähe ist es leichter, die Angst in ihren wettergegerbten Gesichtern zu erkennen. Aber es gelingt ihnen dennoch, die Köpfe zu neigen und verlegen » Euer Majestät« zu brummeln.
Es besteht kein Zweifel mehr daran, dass wir einem Hurrikan entgegensehen. Die Laternen schaukeln bereits gefährlich, während das Schiff die hohen Wellen kreuzt. Weiße Gischt spritzt in unregelmäßigen Abständen über den Bug und durchnässt alles an Bord. Wir haben die Segel gerefft, um weniger Angriffsfläche für den Wind zu bieten, und einige Seeleute haben sich in den Wanten festgebunden, um die Segel notfalls ganz zu kappen, falls ein Mast zu brechen droht.
Ich stehe mit Felix und Hector beim Steuerrad, denn wir werden zwangsläufig etwas vom Kurs abweichen. Kein Schiff kann direkt in einen Sturm hineinsegeln. Es wird am besten sein, wenn wir die Wellen möglichst schneiden, damit das Schiff nicht kentert. Mein Feuerstein und ich werden als Kompass dienen und die richtige Richtung weisen, und wir werden versuchen, den Kurs so gut wie möglich zu korrigieren. Hector hält ein eng aufgerolltes Tau in der Hand, um mich im Notfall anzubinden, falls die Wellen uns über Bord zu spülen drohen.
Ich habe Schwierigkeiten, mich beim Auf und Ab der Wellen auf den Beinen zu halten. In der Nacht erscheinen die Wellenberge wie eine riesige, schwarze Wand mit weißem Schaum, die höher aufragt als unsere Reling, aber im allerletzten Moment schiebt sich der Bug des Schiffes darüber hinweg, und mein Magen macht einen Satz, wenn wir auf der anderen Seite wieder ins Wellental rauschen.
Felix zufolge ist es für Angst zu früh; er sagt, dass sie schon schwereres Wetter überstanden hätten. » Wir sind gerade erst am Rand des Sturms, Euer Majestät«, meint er mit einem Grinsen, das mehr Irrsinn als Humor verrät. » Das Schlimmste kommt erst noch.«
Ein älterer Mann mit grauem Bart, dem ein Ohrläppchen fehlt, kommt zum Kapitän gerannt und schreit: » Die Bilge ist bis zur Hälfte der ersten Markierung vollgelaufen!«
» Was bedeutet das?«, rufe ich über den Wind hinweg.
» Einiges von dem Wasser, das über die Bordwand schwappt, läuft unten in der Bilge zusammen«, schreit Hector zurück. Der Wind hat sein Haar zu einer wilden, lockigen Matte zerzaust. » Es steht immer jemand unten an der Pumpe, aber wenn das Wasser eine gewisse Höhe erreicht, dann werden wir auch mit Eimern schöpfen. Wenn es über die dritte Markierung steigt, dann ist das Schiff verloren.«
Und nun beginnt es zu regnen, in harten, prasselnden Böen.
Das Deck ist glitschig und eisig kalt. Ich halte mich an einem Stück Reling fest, das sich über das mittlere Deck streckt und genau zu diesem Zweck hier angebracht worden zu sein scheint. Der Himmel ist für den Bruchteil eines Augenblicks heller erleuchtet als am Tage, dann dröhnt brüllend laut um uns herum der Donner.
Gott, bitte zeige uns den Weg, und lass uns das Wetter sicher überstehen.
Ein kleiner Funken Wärme dringt durch mich hindurch, und wieder spüre ich dieses eigentümliche Gefühl, stärker denn je, dass etwas an meinem Nabel zieht.
Hector beugt sich zu mir. » Ihr habt gerade gebetet, nicht wahr?«
Ich sehe ihn überrascht an.
» Das kann ich immer erkennen«, erklärt er. » Dann verändert sich Euer Gesicht.« Er zeigt ein leichtes Lächeln, als ob wir ein Geheimnis teilen. Das Lampenlicht spiegelt sich auf den Flächen seines seewasserfeuchten Gesichts.
Das Schiff rollt jetzt zur Seite und wirft mich gegen ihn. Er schlingt einen Arm um mich und hält uns mit dem anderen an der Reling fest. » Vielleicht war es doch keine so
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