Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
gute Idee, Euch an Deck zu holen«, sagt er mir ins Ohr. » Ihr habt gehört, was Felix gesagt hat– es wird noch viel schlimmer werden.«
» Ich muss bei der Kursbestimmung helfen!«
» Es wird so weit kommen, dass der Kurs keine Rolle mehr spielt und es nur noch ums Überleben geht.«
Ich sehe zu ihm hoch und bin mir trotz aller Umstände der Tatsache bewusst, dass sich unsere Körper gerade eng aneinanderschmiegen. Was wäre, wenn ich nicht überlebe? Mein früher Tod würde niemanden überraschen, fast alle Träger starben jung.
Oder schlimmer noch, was wäre, wenn er nicht überlebt? Ich habe Humberto verloren, bevor ich ihm sagen konnte, was ich für ihn empfand. Das würde ich nicht noch einmal ertragen.
» Hector, ich muss Euch etwas sagen…«
» Oh nein, das müsst Ihr nicht«, unterbricht er mich und legt mir einen Finger auf die Lippen. » Keine Abschiede, keine Bekenntnisse. Denn wir werden überleben. Wir beide. Das bedeutet Glaube doch, oder?«
Blitze zucken hinter ihm über den Himmel, als wollten sie seine Worte unterstreichen. » Ja«, bestätige ich. » Glaube.« Er hat recht. Ich muss mich darauf vorbereiten zu überleben, nicht zu sterben.
Vielleicht habe ich mich schon viel zu lange auf mein Ende vorbereitet– im Grunde ständig, seit jenem Tag in der Wüste, an dem ich beschloss, dass es besser sei, im Dienste Gottes zu sterben als ein sinnloses Leben zu führen. Und vielleicht wird das nun auch so geschehen. Vielleicht ist es heute Nacht so weit.
Aber plötzlich brenne ich darauf, etwas zu tun– irgendetwas–, um mir zu beweisen, dass es nicht so sein wird. Etwas, das mir das Gefühl geben wird, doch Einfluss auf mein vorherbestimmtes Schicksal nehmen zu können. Hectors Gesicht ist sehr nahe. Es wäre so einfach, meine Arme um seinen Hals zu schlingen, seine Lippen mit meinen zu finden und ihn zu küssen, bis wir beide außer Atem sind.
Ich will mehr von Hector als diesen einen Kuss zur falschen Zeit. Nein, ich will mehr vom Leben. Ich balle die Fäuste, und meine Nägel graben sich in meinen Handballen, als ich denke: Mein angebliches Schicksal kann von mir aus am tiefsten Punkt des Meeres untergehen. Zusammen mit den ganzen Plänen, die andere Leute mit mir haben.
» Elisa?«
» Ich bin gleich wieder da!«, rufe ich und laufe über Deck zurück zu Kapitän Felix’ Kajüte.
Dort angekommen, reiße ich die Tür auf, und Mara sieht mich erschreckt an. Sie hockt zusammengekauert am Fußende des Bettes, hat die Knie gegen die Brust gezogen, und Tränen laufen ihr über die Wangen. » Elisa?«, fragt sie mit schwankender Stimme.
Wasser tropft von mir herunter, als ich meinen Rucksack an mich reiße und mich neben Mara fallen lasse. Das Schiff rollt, als ich nach der nackten Figur taste, in der sich die Frauenschild-Körnchen befinden.
» Was machst du?«, fragt sie.
» Ich bereite mich aufs Überleben vor.« Ich berühre den Stopfen und will ihn herausziehen.
Mara packt mein Handgelenk. » Warte.« Sie greift nach ihrem Täschchen und zieht ihre Figur hervor. » Ich auch«, sagt sie mit einem bebenden Lächeln. » Bereit?«
Zur Antwort ziehe ich den Stopfen und streue ein paar Körnchen auf meine Handfläche. Sie tut es mir gleich. Dann nehmen wir sie gleichzeitig in den Mund und kauen sie. Sie sind bitter und hart und schmecken ein bisschen nach Zitronenschale.
Das Schiff rollt wieder, und beinahe hätte ich mich an den Körnchen verschluckt. Der Kapitänssessel schlittert über die Planken und kippt vor unseren Füßen um. Mara wimmert. Ich schlinge meine Arme um sie, und sie erwidert meine Umarmung, obwohl ich so durchweicht bin. Ich sollte nicht zu lange hier unten bleiben, aber ich gebe mich dem Luxus hin, ein paar kostbare Augenblicke mit meiner Freundin zu stehlen.
» Du musst gehen«, sagt sie und lässt mich los.
Ich stehe auf, und obwohl der Boden unter mir stark schwankt, habe ich das Gefühl, einen so sicheren Stand zu haben wie schon lange nicht mehr. » Bleib hier. Ich will nicht riskieren, dass du über Bord gespült wirst.«
Sie nickt. » Pass auf dich auf, Elisa.«
Ein kräftiger Guss durchnässt mich von Kopf bis Fuß, kaum dass ich die Tür geöffnet habe. Wasser rinnt vom Rahmen und flutet den Eingang. Hector ist schon da, als hätte er Wache gestanden, und er hilft mir, die Türen gegen den heftigen Wind wieder zu schließen.
Meinen Dank reißt mir der Wind von den Lippen, ein Ruck geht durch das Schiff, und wir rutschen über Deck. Kapitän Felix
Weitere Kostenlose Bücher