Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
hinaufschwingt, bis es sich in den Schatten verliert. Eine Reihe größerer Schädel lugt in der Mitte der Wand hervor, ihre Kiefer klaffen auf und dienen als Halterung für Votivkerzen. Geschwungene Rippen rahmen in regelmäßigen Abständen dunkle Öffnungen in der Mauer ein.
Ich bin des Todes müde. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich Blut in den Sand rinnen, sehe Fleisch wie Wachs unter dem Feuer eines Animagus dahinschmelzen, sehe eiternde Wunden, leblose Augen. Aber diese schönen Schädel sind von ihrem verfaulenden Fleisch befreit, konserviert und grinsend. Ich liebe die Erinnerung daran, dass der Tod ein wichtiges Fundament meiner großartigen Stadt darstellt, dass etwas von den Toten ewig bleiben kann.
Ich trete durch den dritten Eingang auf der rechten Seite in die Grabkammer von Alejandro de Vega. Der kleine Raum riecht nach Rosen und Weihrauch. Die Fackel klemme ich in einen Halter aus Messing und warte, bis sich meine Augen an das schwache Licht gewöhnt haben. In einiger Entfernung rauscht der unterirdische Fluss durch die Höhlen. Er ist nahe genug, die feuchte Luft zu bewegen, und meine Fackel flackert.
Fünf steinerne Sarkophage ruhen auf riesigen Sockeln. Einer enthält die sterblichen Überreste von Alejandros Vater. Der zweite umschließt den Leichnam der ersten Frau meines Gatten, die bei der Geburt unseres kleinen Prinzen Rosario starb.
Im dritten liegt mein Ehemann.
Ein seidenes Banner bedeckt den Sarkophag, und ich streiche mit dem Zeigefinger über die glatte Oberfläche. Auch auf den anderen Särgen liegen Banner, aber die Zeit hat an ihnen genagt, vielleicht haben sie auch unter der Feuchtigkeit gelitten, die an meinen Nasenflügeln kribbelt.
» Hallo, Alejandro.« Mein Flüstern hallt durch den Raum.
Zu einem Toten zu sprechen ist wahrscheinlich Unsinn. Wenn man einmal die Grenze zum nächsten Leben überschritten hat, sieht oder hört man dann noch, was mit jenen geschieht, die noch immer dem Diesseits verhaftet sind? Die Scriptura Sancta ist hier nicht eindeutig. Aber ich spreche trotzdem mit ihm, denn Trost hilft auch dann, wenn er eigentlich Unsinn ist.
» Ich habe heute miterlebt, wie sich jemand selbst verbrannt hat. Ich musste an dich denken, und daran, wie man dich versengt hat.« Ich lege meine Handfläche auf den Sarkophag, und einen verrückten Augenblick lang spüre ich Alejandros Herzschlag, wie er unter dem Stein pulsiert. Hastig ziehe ich die Hand weg.
» Das Quorum verlangt, dass ich wieder heirate, und ich glaube, ich muss tun, was von mir gefordert wird. Unsere Ehe war eine Farce, ich weiß. Trotzdem wurden wir am Schluss allmählich Freunde. Du hast sogar gesagt, dass wir uns eines Tages hätten lieben können, wenn wir genug Zeit gehabt hätten. Oder waren diese Worte letztlich nur Nettigkeit mir gegenüber?«
Heute bin ich selbst dem Tod nahe gewesen; jetzt lasse ich diesen Gedanken zu. Der Animagus hätte mich mit seinem Feuer verbrennen können. Ich wäre jung gestorben, wie die meisten Träger vor mir.
Und als sich diese Vorstellung in meinen Knochen festgesetzt hat, bin ich plötzlich von dem Wunsch erfüllt, Alejandro das zu sagen, was mir zu seinen Lebzeiten nie über die Lippen kommen wollte.
» Du warst ein guter Mann, aber ein schrecklicher König. Unentschlossen, ängstlich, unvernünftig.« Ich schlucke, um das noch immer unvertraute Gefühl zu vertreiben, dass ich ihn vermisse. » Aber jetzt frage ich mich, ob ich dich zu hart beurteilt habe. Ich muss es dir sagen, denn ich muss mit irgendjemandem darüber reden… ich bin unsicher. Was die Königinnenwürde angeht. Ich weiß nicht, ob ich ihr bisher gerecht geworden bin. Ximena hat mir gesagt, ich sei die einzige unter all den Herrschern und Herrscherinnen der Geschichte, die gleichzeitig auch den Feuerstein trug. Aber ich bin erst sech-… siebzehn. Was, wenn ich noch schrecklicher bin als du? Vielleicht…«
Der Feuerstein wird eiskalt. Ich atme scharf ein, als eisige Splitter durch mein Blut schießen und meine Fingerspitzen und Zehen taub werden. Hastig drehe ich mich um und versuche, die Quelle der Bedrohung zu ermitteln.
Wind fährt durch die Gruft. Meine Fackel erlischt und lässt mich in der Dunkelheit allein.
Instinktiv spreche ich hastig und innig ein Gebet und flehe Gott an, mich vor dem, was da kommen mag, zu beschützen. Der Feuerstein reagiert darauf und schickt nun etwas Wärme durch meinen Unterleib, gerade genug, damit ich ein wenig leichter atmen, ein wenig besser
Weitere Kostenlose Bücher