Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
Vom Netzwerk:
als wir zusammen die tiefste Wüste durchquerten. Egal, wann ich dieses Zeug je wieder essen müsste– es wäre zu früh. Als ich zu ihm hinübersehe, zucken seine Lippen leicht; er lacht innerlich über seinen kleinen Scherz.
    » Aber Jerboasuppe«, sagt Lady Jada, » die ist doch schrecklich… gewöhnlich.«
    » Gut möglich«, erwidere ich, schlucke den Klumpen Tortilla und setze ganz ernsthaft hinzu: » Die einfacheren Nahrungsmittel haben eine große poetische Schlichtheit, findet Ihr nicht auch?« Ich habe keine Ahnung, was das heißt, aber sie nickt, als habe man ihr eine tiefe, allumfassende Wahrheit serviert.
    Conde Tristán erklärt: » Das traditionelle Gericht Selvaricas heißt Sendara de Vida. Es wird aus Sternfrucht zubereitet, die in Honig und Limette mariniert und dann über gepfefferten Kohlen geröstet wird. Es ist außerordentlich gut. Falls Ihr uns jemals einen Besuch abstatten solltet, lasse ich es gern für Euch zubereiten.«
    Ximena und ich tauschen einen erschreckten Blick. Ihr Gesicht ist weiß.
    Meine Kinderfrau wendet sich an den Conde und sagt langsam: » Sendara de vida. Das bedeutet ›das Tor des Lebens‹.«
    Er nickt. » Es wurde nach einer alten Legende benannt.«
    » Oh bitte, erzählt sie uns!«, rufe ich aus und hoffe, dass meine Stimme nichts als schlichte Begeisterung verrät. » Ich würde so gern mehr über Selvarica erfahren.«
    Am Ende der Tafel beugt sich Vater Alentín ein wenig nach vorn, die Augen leicht zusammengekniffen. Neben mir setzt Hector sein Weinglas ab und legt die Hände gelassen auf den Tisch.
    Conde Tristán betrachtet das gespannte Publikum, das sich ihm zugewandt hat, und merkt durchaus, dass hier etwas vor sich geht, von dem er ausgeschlossen bleibt. Aber er zeigt sich souverän und erfüllt uns die Bitte. » Es ist eine durch und durch apokryphe Geschichte, aber der Legende zufolge schuf Gott zwei Tore: Eines führte zum Feind und das andere zum Leben. Das Tor, das zum Leben führt, la sendara de vida, liegt irgendwo in Selvarica, und oft schon sind die jüngeren Söhne der großen Adelshäuser aufgebrochen, um es zu suchen, in der Hoffnung, sich einen Namen zu machen und Ruhm und Reichtum zu finden. Es ist natürlich niemandem gelungen. Aber viele Menschen meines Landes glauben daran, dass es dieses Tor gibt. Es heißt, wer es findet, dem wird das ewige Leben und das vollendete Glück zuteil.«
    Schweigen legt sich wie eine schwere Decke über den Speisesaal.
    Schließlich sagt Alentín beiläufig: » Seltsam, dass ich noch nie etwas von dieser Legende gehört habe.«
    Der Conde zuckt die Achseln. » Sie war mir bekannt, als ich aufwuchs, aber dann vergaß ich sie wieder, bis Iladro mich an diese Geschichte erinnerte.« Er deutet auf den übertrieben herausgeputzten Herold an seiner Seite. » Nicht wahr, Iladro?«
    Der Herold läuft unter den Blicken, die sich plötzlich alle auf ihn richten, rot an. Der Federbusch an seinem Hut zuckt hin und her, als er nickt. » Jawohl, Euer Gnaden«, sagt er in einem zurückhaltenden Ton, der jene schallende Stimme Lügen straft, mit der er seine Herrschaft anzukündigen pflegt. » Die Legende ist vor allem in den Dörfern der entlegenen Inseln sehr verbreitet.« Er nimmt ein Kokosbrötchen und schiebt es sich in den Mund, vielleicht, um den Conde davon abzubringen, ihn mit weiteren Fragen noch mehr in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu rücken.
    » Apokryph«, raunt Ximena leise, wie zu sich selbst.
    » Ein oder zwei alte Manuskripte erwähnen sie«, sagt der Conde. » Aber das zeigt ja, dass nichts Wahres an dieser Legende ist, nicht wahr? Sie wird in keiner der inspirierten heiligen Schriften auch nur einmal erwähnt.«
    » In der Tat«, sagt Ximena, aber ich höre den Zweifel– oder auch vielleicht das Erstaunen– in ihrer Stimme.
    » Was bedeutet ›apokryph‹?«, fragt Lady Jada.
    Hector erklärt: » Bei den Apokryphen handelt es sich um eine Gruppe von Dokumenten, die zunächst als göttlich inspiriert galten, bis Priester und Gelehrte später zu dem Schluss kamen, dass es sich lediglich um Legenden handelte, bei denen von göttlicher Eingebung nicht die Rede sein konnte.«
    Ich sehe ihn überrascht und erfreut an. Ich hatte keine Ahnung, dass er sich auch mit solchen Dingen auskennt.
    Er wirft mir einen seiner typischen Seitenblicke zu, bei denen seine Augen zu tanzen scheinen. » Aber als pseudohistorische Dokumente sind sie interessant«, fährt er fort. » Sie verraten eine Menge über

Weitere Kostenlose Bücher