Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Ich vermisse sogar den Geruch von Lagerfeuern aus Kameldung.
Dann endlich treten wir durch den Schatten der großen Mauer ins Licht. Unsere Straße führt entlang der Küste nach Süden, aber zu unserer Linken erstreckt sich meine Wüste, endlos und golden und schimmernd vor Hitze. Als ich sie betrachte, geht mir das Herz über, und ich halte es kaum noch aus. Mit jedem Schritt, der mich von der Stadt wegführt, fühle ich mich freier, leichter. Am liebsten würde ich springen oder laufen oder die Arme weit ausbreiten, um den offenen Himmel willkommen zu heißen und alles in mich einzusaugen. Aber ich gebe mich damit zufrieden, die Sandklumpen und Kiesel auf der Straße aus dem Weg zu kicken.
Hector hat sich an meine Seite begeben und sieht mit einem seltsamen Blick in seinen Augen zu mir hinunter. » So habe ich Euch noch nie lächeln sehen«, sagt er.
Mir war gar nicht bewusst, dass ich lächele. » Ich bin wohl einfach froh, draußen sein zu können. Und seht Euch die Wüste an! Ist das nicht wunderschön?«
» Ja«, erwidert er sanft, » wunderschön.«
» Habt Ihr gewusst, dass man in manchen Nächten, wenn man den richtigen Augenblick erwischt, bei Sonnenuntergang bis zur Sierra Sangre sehen kann? Wenn die Sonne hinter dem Meer verschwindet, dann färbt sich der Horizont im Osten rot wie Blut. Es ist überwältigend.«
» Nein, das wusste ich nicht.«
» Ihr solltet heute Nacht einmal danach Ausschau halten. Und am Nachmittag, wenn es am heißesten ist, dann verschmelzen dort, wo der Sand sich vor dem Himmel abhebt, alle Farben der Welt miteinander. Wie ein Wellenspiel des Lichts.«
» Was Ihr nicht sagt.«
Ich werfe ihm einen strengen Blick zu, weil eine gewisse Erheiterung in seiner Stimme mitschwingt. Macht er sich über mich lustig? » Es gibt doch sicher auch einen Ort, den Ihr über alles liebt? An den Ihr immer wieder gern zurückkehrt? Wo Ihr Euch mehr wie Ihr selbst fühlt als überall sonst?«
Während Hector darüber nachdenkt, hält sich unsere Reisegruppe ein wenig mehr nach rechts, um dem ständigen Strom entgegenkommender Reisender Platz zu machen– ein paar staubigen Reitern, sowohl auf Kamelen wie auch auf Pferden, und einer kleinen Kaufmannskarawane. Sie betrachten die Königinnenkutsche mit großen Augen und halten Abstand. Vor uns schwingt sich Mara aus dem Gefährt der Diener, um lieber nebenher zu Fuß zu laufen. Ich kann ihr das nicht verübeln, ich würde auch nicht länger auf engem Raum mit Sturm eingesperrt sein wollen als unbedingt nötig.
» Ja, so einen Ort gibt es«, erwidert Hector schließlich.
» Als Eure Königin befehle ich Euch, mir davon zu erzählen.« Am liebsten würde ich mir die Dienerinnenhaube herunterreißen und meinen Kopf der Sonne und dem Himmel preisgeben, aber das wage ich nicht. In unserem Tross weiß zwar jeder, wer ich bin– damit der Plan funktionieren kann, mussten alle eingeweiht werden–, aber die Straße ist hier, nahe der Stadt, noch viel zu belebt.
» Nun, wenn Ihr es mir befehlt«, sagt Hector trocken, » dann werde ich Euch von Ventierra erzählen, dem Fürstentum meines Vaters.«
Aus irgendeinem Grund spüre ich das Bedürfnis, ihn ein wenig zu necken. » Ach ja? Dieses winzige Stück Erde ist doch gar nichts, verglichen mit dem hier.« Damit mache ich eine weite Handbewegung in Richtung der Dünen.
Er nimmt es mit Humor. » Dieses winzige Stück Erde besteht aus sanften Hügeln, hellgrün in der Regenzeit und golden in der Trockenzeit. Das Gras ist wie ein Ozean und so hoch, dass es an einem windigen Tag wie das Meer zu wogen scheint. Aus der Ferne schimmert es wie Samt.« Sein Blick geht bei seinen Worten ins Endlose, und die Konturen seines Gesichts werden weicher. » Das Meer brandet gegen die Klippen an der Küste und schleudert weiße Wassersäulen in die Luft. Nahe der Flussmündung gibt es Gezeitentümpel; dort habe ich als Junge stundenlang gespielt. Aber nichts ist schöner als ein Weinberg kurz vor der Ernte. Reihen um Reihen von Rebstöcken, von denen bereifte tiefrote…«
» Ah«, werfe ich ein. » Das Gemälde in Eurem Quartier.«
» Ja. Früher habe ich immer Trauben von den Reben gestohlen, wenn mein Vater gerade nicht hinsah. Sie taten mir leid, weil sie zertreten und gepresst wurden und schließlich zu einem schlecht riechenden Brei verrotteten. Mir schien es, als ob die Trauben lieber Trauben als Wein sein wollten.«
Ich muss lachen.
» Habe ich etwas Lustiges gesagt?«
» Nein. Es ist nur so, dass ich
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