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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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noch nicht heimgekehrt, hieß es. Da sah man wieder einmal, wie wohlerzogen Hotelportiers waren! Natürlich! Einen Priester nannte man Hochwürden. Aber das Hedy sagte: »Herr Mönch!«
    Ob er das Zimmer, das der Pater belegt habe, einmal sehen könne, wollte Studer wissen und zeigte seine Legitimation. Sie erwies sich als unnötig. Man kannte ihn. Der Chef de Réception, der in der Halle mit Nichtstun beschäftigt war, wurde herbeigerufen und hatte nichts dagegen, daß Studer das Zimmer des Paters in Augenschein nahm.
    Erster Stock, zweiter Stock, dritter Stock... So ein Lift war doch etwas Kommodes. Man brauchte keine Stiegen zu steigen, man brauchte seinen Schnauf nicht unnütz zu verschwenden.
    Nummer 63. Der Liftboy kam mit, er wartete, und Studer wäre so gerne allein geblieben! Aber ein Zweifrankenstück wirkte Wunder. Plötzlich war der Gröggu verschwunden.
    Auf der Glasplatte über dem weißen Porzellanbecken lehnte eine einsame Zahnbürste im Wasserglas. Daneben lag ein Stück billige Seife. Ein Handtuch war gebraucht worden. Und auf einem Stuhl stand ein mäßig großer Koffer aus brauner Vulkanfiber. Als Studer ihn öffnete, lagen darin, sorgfältig zusammengelegt:
    Ein blauer Regenmantel, ein ordinärer grauer Konfektionsanzug, ein gebrauchtes, weißes Hemd mit weichem Kragen, eine billige Krawatte und ein Paar schwarze Halbschuhe...
    Ausgebreitet auf dem Bette war ein blauer Pyjama, wie man ihn für fünf Franken in der Epa kaufen konnte.
    Ganz leise pfiff Studer den Bernermarsch. Und dann verließ er das Zimmer. Er warf noch einen Blick zurück und da fiel ihm etwas auf. Ein braunes Etwas lugte aus der Falte heraus, die von der Lehne und vom Sitz des Fauteuils gebildet wurde. Der Wachtmeister trat näher. Das Ding war fest eingeklemmt. Studer zog es mit einiger Mühe heraus.
    Ein Fläschlein. Somnifen. Leer. Er ließ es in seiner Rocktasche verschwinden...
    »Wann ist der Pater angekommen?«
    Der Portier konnte keine Auskunft geben. Wahrscheinlich in der Nacht, meinte er. Sein Kollege werde Bescheid wissen, aber der schlafe jetzt. Ob es nicht Zeit habe bis später?
    Studer nickte und verließ das Hotel, begleitet vom Chef de Réception, der ihm den tuusig Gottswille anhing, doch nur ja nichts verlauten zu lassen, wenn das Hotel in irgendeine Kriminalsache verwickelt sei. Er werde sich erkenntlich zeigen, sagte der Chef, der scharf nach Brillantine roch, aber der Herr Wachtmeister müsse begreifen, wie sehr die Geschichte dem Hotel schaden könne...
    Studer bremste den Redefluß, indem er noch einmal umkehrte und das Gästebuch zu sehen verlangte.
    »Koller Max Wilhelm, geb. 17. März 1876. Missionar.«
    Missionar... Studer stand da, die Fäuste unter dem Raglan in die Seiten gestemmt, und blickte auf den Namen, den er heute früh, schon einmal, in einem Paß gesehen hatte.
    Pater Matthias alias Koller Max Wilhelm besaß einen Bruder, Cleman Alois Victor, der sich als Geologe und Denunziant betätigt hatte – Schweizer war er auch gewesen – und dann war er an einem malignen Tropenfieber zu Fez gestorben und in einem Massengrab verscharrt worden. Dieser Cleman betätigte sich nun, nach Angaben seines Bruders, als Gespenst. Er sprach durch den Mund eines Hellseherkorporals, er drohte, drei Monate im voraus, seine beiden Frauen zu ermorden – und er beging die Morde auch. Pfeifende Morde, wenn man so sagen durfte. Das Gas pfiff aus den geöffneten Brennern und der Haupthahn war halb geöffnet, er bildete einen Winkel von fünfundvierzig Grad...
    Eine alte Frau in Basel, eine alte Frau in Bern... Die Sophie war reich gewesen, warum hatte der Geologe der »G'schydene«, mehr Geld gegeben als der Rechtmäßigen? Warum hatte die Rechtmäßige mit ihrer Tochter Not leiden müssen in einer Einzimmerwohnung mit einer winzigen Küche, die eigentlich gar keine Küche war, sondern nur ein Durchgangskorridor, während die »G'schydene« in guten Verhältnissen gelebt hatte – Zweizimmerwohnung, verschnörkelte Möbel, Gasofen mit Grill und Backröhre?...
    In Basel war nur ein zweiflammiges Réchaud vorhanden gewesen und über ihm hatte ein windschiefes Gestell gehangen mit alten Blechbüchsen, an denen das Email abgebröckelt war: »Salz«, »Kaffee«, »Mehl«. Gutmütige Menschen haben es schwer auf der Welt. Sie werden stets übertölpelt. Während die anderen, mit den schmalen Mündern, mit den höhnischen Augen, ihr Wissen verwerten.
    Die Josepha hatte ihren Mann sicher nie geplagt. Aber die Sophie? Warum

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