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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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sprang dann am Capitaine hoch, beschnüffelte die Gazelle und wedelte. Und dann nieste er laut – der schottische Terrier...
    Der Capitaine schritt die Reihen entlang und Studer begriff zuerst nicht, was er tat. Sobald er vor einem Mann stand, öffnete dieser den Mund, der Capitaine steckte ihm eine kleine weiße Pille in den Mund – ging zum nächsten...
    Ein kurzes Kommando. Die Mauern standen wieder unbeweglich. Ein Wink – sie zerbröckelten.
    »Was haben Sie den Leuten in den Mund gesteckt, Capitaine?« fragte Studer, als Lartigue wieder im Turmzimmer erschien. Unter dem Arm hielt der Capitaine den strampelnden Terrier.
    »Chinin... Ich füttere meine Leute mit Chinin, täglich zwei Gramm... sie haben alle Ohrensausen, es nützt aber nichts...«
    »Chinin«, wiederholte Studer. Und plötzlich schlug er sich klatschend gegen die Stirn.
    »Was ist los, Inspektor?«
    »Nichts, nichts«, sagte Studer gedankenabwesend. Und er sah die Fieberkurve. Was stand vermerkt am Datum des 20. Juli?
    »Sulfate de quinine 2 km.«
    Seit wann gab man Chinin kilometerweise? Aber stand diese Bemerkung nicht gerade vor oder gerade nach SSO? Also! Der Schatz lag vergraben in der Nähe einer Korkeiche bei einem roten Felsen, der die Gestalt eines Mannes hatte, 2 Kilometer südsüdöstlich von Gurama...
    »Haben Sie einen Kompaß?« fragte Studer und merkte gar nicht, daß er in diesem fremden Zimmer aufgeregt hin und her lief... Als ihm dies zum Bewußtsein kam, sah er auf und begegnete den Augen des Capitaine, deren Ausdruck nicht recht zu deuten war. Spott? Mitleid?...
    »Sie wollen einen Kompaß, Inspektor Jakob... pardon: Joseph Fouché?«
    Was hatte der Mann nur immer mit seinem Jakob? Wußte er etwas?
    »Ja gern«, sagte Studer ein wenig gepreßt.
    »Hier. Ich denke, Sie möchten einen Spaziergang machen. Nehmen Sie keine Rücksicht auf mich. Jeder Mann im Posten kann Ihnen die Kantine zeigen. Dort holen Sie sich etwas zu essen. Und heut abend speisen Sie bei mir. Ich muß jetzt schlafen. Auf Wiedersehen!«
    Und Studer war entlassen. Er stieg die Hühnerleiter hinab, trat in die erste Baracke und verlangte eine Grabschaufel. Dann ließ er sich den Weg zum Ksar zeigen.
    Die Grabschaufel hatte einen kurzen Stiel, ihr Metallteil steckte in einem Lederfutteral. Das war praktisch.
    Der Ksar war das Eingeborenendorf, turmförmig aus Lehmziegeln errichtet und etwa einen Kilometer vom Posten entfernt. Hinter dem Ksar nahm der Wachtmeister die Richtung Südsüdost und marschierte los. Sein Schritt maß ungefähr achtzig Zentimeter. Machte für zwei Kilometer etwa zweitausendfünfhundert Schritte. Aber schon nach tausend Schritten konnte Studer das Zählen aufgeben. Die Korkeiche war deutlich zu sehen und neben ihr ragte ein roter Stein auf, der von ferne einem aufrechtstehenden Mann ähnelte.
    Aber der Wachtmeister fand keine Verwendung für die Schaufel. Denn neben dem Felsen gähnte ein Loch – und das Loch war leer.
    Schlußfolgerung? Jemand war ihm zuvorgekommen. Diese Schlußfolgerung war dermaßen selbstverständlich, daß man darüber die Achseln zucken konnte. Wer war dieser Jemand? Das war vorderhand gleichgültig. Wichtiger war, daß Capitaine Lartigue augenscheinlich alles wußte. Deutlich genug hatte er es gezeigt mit seinen anzüglichen Betonungen. »Herr Inspektor Jakob... pardon: Joseph Fouché...« Gut! Man hieß Jakob! Was war weiter dabei? Man segelte unter falscher Flagge... Das war nicht mehr so gleichgültig. Aber: die Suppe, die man sich eingebrockt hatte, mußte man auslöffeln. Es war, wollte man den Fall unvoreingenommen betrachten, immerhin eine ganz neue Situation: In der Schweiz konnte man, wohin immer man auch kam, auf Beistand zählen. Man hatte Freunde bei der Polizei und die Behörde als Rückendeckung. Hier?... Hier war man ganz allein, ganz auf sich selbst angewiesen. Von nirgends hatte man Hilfe zu erwarten. Der sympathische Capitaine Lartigue konnte einen beispielsweise ohne weiteres verhaften und unter Bedeckung nach Fez transportieren lassen, wenn er es nicht vorzog, kurzen Prozeß zu machen und einen an die Wand zu stellen... Kam man hingegen vor Kriegsgericht, so winkte Cayenne, das Land, wo der Pfeffer wuchs. Erfreulich war es immerhin, sich die Notizen auszudenken, die in den Schweizer Zeitungen erscheinen würden: »Zu unserem Bedauern erfahren wir, daß ein um das Polizeiwesen des Kantons Bern wohlverdienter Fahnder von der französischen Regierung wegen einer schweren Verfehlung gegen das

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