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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Sie, Inspektor«, sagte der Offizier, »der Korporal hat sich wirklich hier gemeldet. Er hat diese Frechheit besessen. Wenn man bedenkt, daß er sich drei Monate, ohne Urlaub, von der Truppe entfernt hat, wäre es eigentlich meine Pflicht gewesen, den Deserteur einzusperren. Aber der Mann war so krank, er bat mich so dringend, ihn nach Gurama weiterfahren zu lassen, daß ich schließlich einwilligte.«
    »War er in Uniform?«
    »Ja. Aber nach seiner Abreise hat mir ein Araber erzählt, er habe sich bei ihm umgezogen. Ich wollte die Zivilkleidung sehen, aber die war schon längst weiterverkauft worden...«
    »Wie sah der Korporal aus?«
    »Klein, kleiner als Sie, Inspektor. Sagen Sie, ist der Mann während seiner Abwesenheit in Europa gewesen? Hat er dort etwas ausgefressen, daß Sie ihn suchen?«
    Studer legte den Finger auf die Lippen. Dies war immer die bequemste Antwort.
    Und um Mitternacht fuhr er ab. Er klammerte sich an das Bild des Mädchens Marie, es war die einzige Wirklichkeit, an der er sich halten konnte, als er, eingeklemmt zwischen bewaffneten Legionären, über Straßen fuhr, die eigentlich gelbe Lehmflüsse waren... Die Nacht war klar, bis in den grauen Morgen hinein schien der Mond, und dann kam die Sonne und wärmte ein wenig. Der Wachtmeister saß auf einem Weinfaß, seine Beine schliefen abwechselnd ein, er rauchte seine Pfeife und verhielt sich schweigend. Seine Begleiter trugen jene resedagrünen Capottes, die in den amerikanischen Filmen über die Fremdenlegion nicht malerisch genug wirken würden und daher durch Phantasieuniformen ersetzt werden. Die Gewehre seiner Begleiter waren rostig, und es fragte sich, ob man überhaupt mit ihnen schießen konnte. Richtiggehende französische Unordnung!... Wachtmeister Studer dachte an die ferne Rekrutenschule und war froh, daß er sich ärgern konnte; es verdrängte ein wenig das Bild des Mulatten Achmed, der mit ein paar simplen Bewegungen die Sinnlosigkeit jeglichen Tuns demonstriert hatte.
    Es kamen kahle Berge zu beiden Seiten der breiten Ebene, es kamen Dörfer inmitten von Olivenwäldern und Hühnerskelette scharrten im Mist. Kleine Kinder mit glattrasierten Köpfen bohrten in der Nase, die Mütter standen daneben und sagten nicht: »Pfui!« Es zogen kleine Esel vorbei, die ihre Haut auf den bloßen Knochen trugen und die Weiber, die sie antrieben, waren nicht verschleiert. Darum sah man die blauen Punkte auf den Stirnen, die kreuzförmig angeordnet waren.
    Und dann kam Gurama...

Capitaine Lartigue
    Der Posten war viereckig; eine Mauer umgab ihn und drei Reihen Stacheldraht. An der einen Ecke ragte das Rohr einer 7,5-cm-Kanone über die Mauer. Den Eingang ließ der Stacheldraht frei. Und am Torpfeiler lehnte ein Mann in verknitterter Khakiuniform, auf seinem runden Kopf saß schief eine verwaschene Polizeimütze, seine Hosen waren zu kurz und ließen über offenen Sandalen graue Wollsocken sehen.
    »Ist Capitaine Lartigue zu sprechen?« fragte Studer, während die Camions, schon weit entfernt, Salven abschossen und Staub aufwirbelten.
    Der Mann rührte sich nicht, er hob nur den Blick vom Boden, starrte den Fragenden an und musterte ihn dann eingehend. Er fragte: »Wozu?« und schnalzte mit der Zunge. Eine Gazelle kam hinter der Mauer hervor, lugte zuerst schüchtern, tänzelte näher und rieb ihre Schnauze an der Hüfte des Mannes in Khaki.
    Studer räusperte sich. Der Empfang mißfiel ihm – keine Disziplin! – und der Mann ging ihm auf die Nerven. Vierzehn Stunden Fahrt auf einem Lastcamion wirken nicht wie Brom. Der Wachtmeister zeigte seine französische Polizeimarke: »Police!« sagte er barsch. Der Mann in Khaki zuckte mit den Achseln und kraulte den Kopf der Gazelle. Studer holte seinen Paß hervor, wies auf die Empfehlung des Kriegsministeriums – der Mann verzog die Lippen zu einem unverschämten Grinsen.
    »Führen Sie mich zum Capitaine!« schnauzte Studer.
    »Und wenn ich selber der Capitaine bin?«
    »Dann sind Sie verdammt unhöflich!«
    »Wollen Sie mich Höflichkeit lehren?«
    »Ich glaube, das würde nichts schaden! Sie sind ein Flegel, mein Herr!«
    »Und Sie ein Spion!«
    »Wiederholen Sie das!«
    »Sie sind ein Spion!«
    »Und Sie ein Schwachsinniger!«
    »Hören Sie, das ist ein Wort, das man nur gebrauchen darf, wenn man boxen kann. Können Sie boxen, Sie Fettwanst?«
    Das traf den Wachtmeister an der empfindlichsten Stelle. Sein dunkler Überzieher flog durch die Luft, daß er am Stacheldraht hängen blieb, kümmerte

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