Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
konnte.
Sie fragte ihn.
»Was? Es mal als jüdischer Vater versuchen? Ich glaube nicht. Es sei denn, du willst …«
»Nein, nein, gar nicht. Ich habe dabei nur an dich …«
Was sein Faible fürs Jüdische insgesamt anging, fand sie dies anfangs amüsant, machte sich deshalb jetzt aber Sorgen. Wollte er das Jüdische wie die Schwermut aus ihr heraussaugen? Sie fürchtete, er könnte beides miteinander verwechseln.
»Juden können auch fröhlich und gesellig sein, weißt du«, sagte sie.
»Wie könnte ich das vergessen, wo wir uns doch bei einem Essen an Pessach kennengelernt haben.«
»Diese Art fröhlicher Geselligkeit, bei der wir gemeinsam unserer Zeit als Sklaven in Ägypten gedenken, habe ich eigentlich weniger gemeint. Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt. Ich will damit sagen, Juden können auch richtig ausgelassen, derb und vulgär sein.«
Noch während sie redete, fiel ihr auf, wie fremd ihr all das geworden war, seit sie sich kennengelernt hatten. Er engte sie ein. Er wollte eine bestimmte Art Frau in ihr sehen, und sie wollte ihn nicht enttäuschen. Dabei gab es manchen Abend, da hätte sie sich lieber vor den Flimmerkasten gehockt und eine Schmonzette geglotzt, als mit ihm über Beschneidung und Moses Maimonides zu reden. Sie fand es anstrengend, die Vertreterin ihres Volkes für einen Mann zu sein, der beschlossen hatte, dieses Volk zu verklären, wollte sie doch ebenso wenig ihn enttäuschen wie das Judentum selbst und dessen gesamte fünftausendjährige Geschichte.
»Gut, seien wir fröhlich, machen wir was Ausgelassenes«, sagte er. »Ein Stück die Straße hinunter spielt im Jüdischen Kulturzentrum eine kleine Klezmerband zu einem jüdischen Tanzabend auf. Wollen wir da hin?«
»Ich glaube, da hätte ich doch lieber ein Kind von dir«, sagte sie.
»Ehrlich?«
»Nein, nur ein Witz.«
Sie meinte, es in seinem Kopf rattern zu hören. Eine Frau sagt, sie will ein Kind von dir. Wieso ist das in jüdischen Ohren ein Witz?
Und dann war da noch das Problem, dass sie ihn nicht beunruhigen wollte. Die Schinkenspeckvandalen hatten wieder zugeschlagen. Diesmal wurde »Tod allen Jüdischen« an die Mauern gepinselt. »Jüdischen« war muslimisches Hassgerede. Immer häufiger hörte man von kleinen Kindern an gemischten Schulen, die als »Jüdische« beschimpft wurden. Hephzibah fand diese Entwicklung viel bedrohlicher als die Hakenkreuze, mit denen der weiße Pöbel jüdische Friedhöfe schändete. Hakenkreuze wirkten irgendwie kraftlos, halbherzig, waren eher eine Erinnerung an Hass als Hass selbst. »Jüdische!« dagegen – für sie hatte das Wort einen schrecklichen Klang. »Jüdische« waren etwas Widerliches. Ihr Glaube machte sie gemein und bösartig. Trat man auf sie, quoll »Jüdisches« heraus. Diese Beleidigung ging viel tiefer als »Jidd« oder »Itzig«. Sie richtete sich nicht gegen individuelle Juden, sondern gegen das, was das Jüdische im Kern ausmachte. Außerdem stammte sie aus einem Teil der Welt, in dem der Konflikt bereits in Blut badete und der Hass bitter, wenn nicht gar unauslöschlich war.
Selbst Libor hatte ihr Dinge erzählt, die sie lieber nicht gehört hätte, verbreitete Geschichten über Bosheiten und Gewalt, als wäre dies für ihn die einzige Möglichkeit, sich davon zu befreien. »Weißt du, was man in schwedischen Zeitungen schreibt?«, fragte er. »Es heißt, israelische Soldaten würden Palästinenser töten, um ihre Organe auf dem internationalen Organmarkt zu verkaufen. Erinnert dich das nicht an was?«
Hephzibah biss sich auf die Lippen. Sie hatte sich dies schon auf der Arbeit anhören müssen.
Doch Libor hatte keine Kollegen, mit denen er seine Ängste teilen konnte. »Das ist die Ritualmordlegende«, fuhr er fort, als ob sie es nicht wüsste.
»Ja, Libor.«
»Für sie laben wir uns wieder an Blut«, sagte er, »und verdienen damit eine Menge Geld. Fast könnte man glauben, wir wären zurück im Mittelalter. Aber was will man von den Schweden anderes erwarten, die haben das Mittelalter doch nie hinter sich gelassen!«
Sie wollte es nicht hören, aber sie hörte es jeden Tag. Der Zählappell jüdischer Verbrechen. Und der dazugehörige Zählappell vergeltender Gewalt.
Letztens erst war ein Sicherheitsbeamter vor dem jüdischen Museum in Washington erschossen worden. Das löste eine kleine Schockwelle der Angst in all jenen aus, die öffentliche jüdische Institutionen leiteten. E-Mails besorgter Solidarität wurden ausgetauscht. Man sei
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