Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
beklagte er sich. »Aber was hat es für einen Sinn, erschaffen zu sein, wenn man mit seinem Leben nichts weiter anfängt, als Gott dafür zu danken?«
Sie hatte ihn zu jüdischen Hochzeiten, Verlobungen und Bar-Mizwas mitgenommen, aber die gefielen ihm ebenso wenig. »Nicht ernst genug«, beschwerte er sich.
»Willst du, dass sie öfter Gott danken?«
»Vielleicht.«
»Du bist wirklich nicht leicht zufriedenzustellen, Julian.«
»Weil ich Jude bin, deshalb«, antwortete er.
Und obwohl er maßlos von jüdischer Familie und jüdischer Herzlichkeit schwärmte, verstummte er, sobald sie ihn ihrer Familie vorstellte – Libor ausgenommen. Er führte sich auf, als könne er die Leute nicht ausstehen, was nicht der Fall war, wie er ihr versicherte, und brachte Hephzibah in Verlegenheit durch seinen Mangel an … na ja, Herzlichkeit.
»Ich bin schüchtern«, sagte er. »So viel Vitalität macht mich verlegen.«
»Ich dachte, du magst es vital.«
»Mag ich ja auch, ich kann’s nur nicht selbst sein. Ich bin zu nebbich .«
Sie küsste ihn. Sie küsste ihn ständig. »Wer nebbich ist, der weiß nicht, dass er nebbich ist«, sagte sie, »also bist du nicht nebbich .«
Er erwiderte ihren Kuss. »Siehst du, wie hintersinnig das ist?«, sagte er. »›Wer nebbich ist, der weiß nicht, dass er nebbich ist.‹ Das ist mir zu subtil. Ihr seid mir alle einfach zu flink.«
»Müssen wir sein«, sagte sie. »Man weiß ja nie, wann man seine Sachen packen muss.«
»Ich trag sie dir. Das ist meine Aufgabe. Ich bin der schleper . Oder weiß der schleper nicht, dass er ein schleper ist?«
»Oh nein, ein schleper weiß durchaus, dass er ein schleper ist. Anders als jemand, der nebbich ist, definiert sich ein schleper durch sein Wissen darum, ein schleper zu sein.«
Er küsste sie erneut. Diese Finkler! Jetzt war er so gut wie mit einer Finklerin verheiratet, war fast selber ein Finkler, im Herzen jedenfalls, nur in der Praxis mangelte es noch. Und trotzdem lag noch so viel vor ihm.
»Verlass mich niemals«, sagte er und wollte hinzusetzen: »Stirb nicht als Erste. Versprich mir, dass du nicht vor mir stirbst.« Doch dann fiel ihm ein, dass Malkie dies zu Libor gesagt hatte, und ihre Worte zu wiederholen wäre ihm wie ein Sakrileg vorgekommen.
»Ich gehe schon nicht«, sagte sie, »jedenfalls nicht, solange mich keiner zwingt.«
»Und wenn du gehst«, sagte er, »bin ich dein schleper.«
Er hatte sie seinen Söhnen noch nicht vorgestellt. Warum nicht? Seine Erklärung, die sie mit gutem Grund verlangte, lief darauf hinaus, dass ihm nicht viel an ihnen liege.
»Und?«
»Und warum sollte ich sie, an denen mir nicht viel liegt, mit dir bekannt machen, an der mir viel liegt?«
»Das ist in so vielerlei Hinsicht Blödsinn, Julian, dass mir der nötige Atem fehlt, es dir zu erklären. Vielleicht hättest du ja mehr für sie übrig, wenn du mich mit ihnen bekannt machen würdest.«
»Sie gehören zu einem Teil meines Lebens, den ich hinter mir lassen möchte.«
»Du hast mir gesagt, du hättest sie schon hinter dir gelassen, ehe du sie auch nur kennengelernt hast.«
»Stimmt. Genau das ist der Teil meines Lebens, den ich hinter mir lassen möchte – der, in dem mir nichts an Leuten lag.«
»Und du meinst, das gelingt dir dadurch, dass du sie mir nicht vorstellst?«
»Es bringt einfach nichts. Du würdest sie nicht mögen. Und dann müsste ich sie erneut hinter mir lassen.«
»Bist du sicher, dass du nicht fürchtest, sie könnten mich nicht mögen?«
Er zuckte die Achseln. »Könnte sein, aber wen kümmert’s? Mir wäre das jedenfalls vollkommen egal.«
Sie fragte sich, ob das stimmte.
Sie hätte nicht sagen können, ob er ein Kind von ihr wollte. Im Verlauf eines seiner unzähligen Gespräche über Beschneidung hatte er das Thema zur Sprache gebracht – war er schön genug für sie, war er ihr zu viel, war er zu sensibel, was würden sie tun, wenn sie einen Sohn bekämen, würde er für ihn ein Vater oder eher wie Moses sein? Aber alles hatte ziemlich hypothetisch geklungen und sich mehr um Treslove als um ein Kind gedreht. Sie selbst dachte nicht an Kinder. »Damit hat es keine Eile«, sagte sie stets, was eine nette Umschreibung war für: kein Interesse. Doch hielt er es für ein Scheitern? Seiner eigenen Aussage zufolge war er der schlechteste Vater der Welt. Er hatte ihr das wieder und wieder in einem Ton gesagt, der in ihr die Frage aufkommen ließ, ob er nicht doch beweisen wollte, dass er es besser
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