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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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leichte Beute, lautete die übereinstimmende Meinung. Irre konnten überall zuschlagen, und es gab keine Möglichkeit, sie davon abzuhalten. Und da Feindseligkeit gegen Israel Konjunktur hatte, fiel es Irren leicht, sich einzuklinken. Ein regionaler Konflikt war in religiösen Hass übergeschwappt, daran konnte kein Zweifel bestehen. Juden waren wieder das Problem. Nach einer ungewöhnlich ruhigen Phase wurde Antisemitismus erneut zu dem, was er immer gewesen war – eine Rolltreppe, die nie stehen blieb und auf der jeder nach Belieben mitfahren konnte.
    Hephzibah wusste, indem sie dies Treslove verschwieg, den Sicherheitsbeamten nicht erwähnte, der erschossen worden war, ihm nichts von den E-Mails sagte und nicht weitertrug, was Libor ihr berichtete – auch wenn sie es durchaus für möglich hielt, dass er es von Libor selbst erfuhr –, beschützte sie ihn, wie sie ihre Eltern oder ein Kind beschützt hätte. Am ehesten noch wie ihre Eltern, da sie sorgsam auf jüdische Empfindlichkeiten achtete. Wäre ihr Vater noch am Leben gewesen, hätte sie für ihn dasselbe getan. »Kein Wort davon zu deinem Vater, es würde ihn umbringen«, hatte ihre Mutter immer gesagt. So wie ihr
Vater stets gesagt hatte: »Kein Wort davon zu deiner Mutter, es würde sie umbringen.«
    So etwas taten Juden eben. Sie verschwiegen sich schreckliche Neuigkeiten. Und jetzt tat sie es für Treslove.
    5
    Finkler, der niemals träumte, hatte einen Traum. Leute boxten seinen Vater in den Bauch.
    Anfangs war es freundlich gemeint. Sein Vater war im Geschäft und unterhielt die Kunden. Mach schon, fester, noch fester. Ob ich was fühle? Höchstens ein Kitzeln. Und vor zwei Jahren hatte ich Krebs. Kaum zu glauben, ich weiß, aber wahr. Ha, ha!
    Dann änderte sich die Atmosphäre. Sein Vater machte keine Witze mehr. Und seine Kunden lachten nicht länger. Sie hatten ihn zu Boden gezwungen, wo er zwischen aufgerissenen Kartons mit Sonnenbrillen und geborstenen Schachteln mit Deodorants lag. Im Geschäft sah es stets aus, als wäre gerade geliefert worden. Kisten standen wochenlang ungeöffnet auf dem Fußboden. Zahnbürsten und Schnuller, Kämme und Packungen mit Heimdauerwellen lagen, wo sie hingefallen waren, oder dort, wo Lieferanten sie abgestellt hatten. »Wer braucht schon Regale, wenn er so einen guten Boden hat?«, sagte der witzelnde Apotheker gern, wenn er auf Händen und Füßen herumstöberte und das von einem Kunden Gewünschte am Laborkittel sauber wischte. Es war keine Apotheke, sondern sein Theater. Hier trat er auf. Diesmal aber war er am Chaos unschuldig. Wer nicht auf ihn einschlug, riss Waren aus den Regalen. Niemand plünderte, man warf die Sachen nur umher, als wären sie es nicht wert, gestohlen zu werden.
    Sie hatten ihm den Hut vom Kopf geschlagen, dabei hatte er ihn im wahren Leben nie im Geschäft getragen. Der Hut war nur für die Synagoge.

    Verborgen in einem Winkel seines Traums, wartete Finkler darauf, dass sein Vater um Hilfe rief.
    Samuel, Samuel, gwald !
    Er war neugierig auf sich selbst, neugierig darauf, was er tun würde. Aber der Hilfeschrei blieb aus.
    Erst als man anfing, ihn zu treten, wachte Finkler auf.
     
    Er war nicht mal im Bett gewesen. Er war vor seinem Computer eingeschlafen.
    Der nächste Tag machte ihm zu schaffen. Er war zu einer Podiumsdiskussion mit Tamara Krausz sowie zwei weiteren Rednern in einen Saal nach Holborn eingeladen. Das übliche Thema. Zwei dagegen, zwei dafür. Normalerweise machte er so was im Schlaf. Doch Schlaf tat ihm zurzeit nicht gut. Er wusste, was er bei der öffentlichen Veranstaltung sagen würde. Und von seinen Gegnern war wenig zu befürchten. Auch nicht vom Publikum. Weil es ihn vom Fernsehen kannte, lechzte es nach dem, was Finkler sagen würde, egal zu welchem Thema; in Sachen Palästina aber glich das Publikum einem leeren Eimer. Was nicht hieß, dass die Leute keine eigene Meinung hatten. Die hatten sie. Von Finkler erwarteten sie Bestätigung. Ein philosophischer Jude, der über Juden herfiel, das war wie ein Hauptgewinn. Man zahlte, um derlei zu hören. Also nichts, weshalb er nervös zu werden bräuchte. Nervös machte ihn nur Tamara Krausz.
    Was sie anging, traute er sich selbst nicht über den Weg. Und das keineswegs in romantischer Hinsicht. Sie war nicht sein Typ, eher Tresloves Geschmack. Er musste daran denken, wie sein Freund all die schwierigen Frauen aufgelistet hatte, denen er verfallen war. Für Finkler klangen ihre Namen wie die der

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