Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
Streicherabteilung eines Frauenorchesters, vielmehr wie die eines Frauenorchesters, das nur aus Streichern bestand. Seine Nerven vibrierten, wenn er sich Tresloves Beschreibungen auch nur anhörte. »Nichts für mich«, hatte er gesagt und die Luft zwischen
den Zähnen eingesogen. Jetzt aber ließ er zu, dass Tamara Krausz mit ihrem Bogen über sein Rückgrat strich.
Er fragte sich, ob es eine Möglichkeit gab, ihr zu sagen, dass sie ihn in Ruhe lassen sollte. Natürlich würde sie leugnen, überhaupt etwas von ihm zu wollen. Er schmeichelte sich selbst, wenn er glaubte, dass sie den Mann in ihm außerhalb seiner professionellen Kapazität als Mit-ASCHandjidd auch nur wahrnahm. Schließlich hatte sie keinerlei Annäherungsversuch unternommen. Und wenn er sie sich schreiend in seinen Armen vorstellte, hatte er das Drama ganz allein inszeniert.
Das stimmte, sofern man den von ihm vorausgeahnten Schrei nicht mit jenen Lauten verwechselte, die ein eitler Mann einer sexuell frustrierten Frau entlocken zu können glaubt. Der Schrei, den er zu hören meinte, ehe Tamara ihn tatsächlich ausstieß, war eher ideologischer Natur. Zionismus hieß der dämonische Liebhaber, nicht Finkler. In ihrem ungehemmten, stets ungenügend erwiderten Hass konnte Tamara Krausz an nichts anderes als an den Zionismus denken. So ist das eben, wenn man verliebt ist.
Es war Finklers Schuld, wenn Tamara Krausz nur »West Bank« oder »Gaza« zu sagen brauchte, um seine Nerven aufs Äußerste zu reizen. So wie es Finklers Schuld war, dass es ihn, wenn ihr das Wort »Okkupation« oder »Trauma« über die übertrieben devoten Lippen kam – feucht wie die einer Metze mitten im kleinen, beflissenen Gesicht –, bis zum Wahnsinn erregte. Er wusste, was geschehen würde, wenn sie durch einen unglücklichen Zufall oder gegenseitiges Missverstehen miteinander im Bett landen sollten und Tamara ihm die Dialektik ihres Antizionismus ins Ohr schrie – er würde sechs, sieben Mal in ihr kommen und sie dann töten, ihr die Zunge ausreißen und anschließend die Kehle durchschneiden.
Was vielleicht genau das war, worauf sie anspielte, wenn sie vom Zusammenbruch des jüdischen Verstands sprach, der Endlösung, die die Juden in den Wahn trieb und eigene Endlösungen
suchen ließ, von Gewalt gezeugte Gewalt. Eigentlich hätte Finkler nichts anderes getan, als ihre Behauptungen zu belegen.
War sie nicht genau darauf aus? Töte mich, du irrer jüdischer Bastard, und beweise so, dass ich recht habe.
Seltsam war nur, dass sie noch kein Wort gesagt oder in einem ihrer Artikel geschrieben hatte, dem er nicht zugestimmt hätte. Sie hielt mehr von psychischer Desintegration und davon, auf Israels Feinde zu bauen – Finkler dagegen fühlte sich durchaus in der Lage, den jüdischen Staat zu schmähen, ohne sich gleich mit den Arabern anzufreunden –, doch stimmten ihre Diagnosen ansonsten in jedem Punkt überein. Ihn irritierte und erregte eher die Art, wie sie sich ausdrückte, wie ihre Stimme sich hob und senkte, aber auch ihre Methodologie, die darin bestand, jeden mit dem zu zitieren, was ihre Ansichten unterstützte, um alles zu ignorieren, was ihr widersprach.
Als Philosoph wiederum sah sich Finkler genötigt, eine solche Praxis zu verurteilen. In einem Streitgespräch sollte man die Ideenwelt eines Menschen in Gänze anführen, nicht bloß jene gedanklichen Streifschüsse, die einem gerade in den Kram passten. Das schürte ihr gegenüber auch seinen persönlichen Argwohn. Gut möglich, dass er ihr in einer Sache unbesonnen etwas zuflüsterte, das sie ihm dann an anderer Stelle vorhielt. So könnte er ihr mitten in der Nacht gestehen: Ich kann nur noch an dich denken, höre nur noch dich, sehe nur noch dich, und sie würde es bei einem Treffen der ASCHandjiddn als Beweis dafür anbringen, dass seine Konzentration schwächelte und er in seinem Engagement für den Verein nicht mehr so entschlossen und zielstrebig war wie zuvor.
Es kam ihm wie Trotz vor. Als hätte sie irgendeine Bemerkung aufgeschnappt, die das jüdische Volk über sie gemacht hatte – im Schlafsaal bei gelöschten Licht –, und sei nun wild entschlossen, es ihm mit fairen oder unfairen Mitteln heimzuzahlen.
Er entschied sich für einen schwarzen Anzug mit rotem Schlips. Normalerweise saß er mit offenem Hemd auf dem Podium. Diesmal aber wollte er inhaltlich wie äußerlich beeindrucken. Vielleicht lag ihm auch nur daran, seine Kehle zu schützen, verwechselte seine mit ihrer.
Auf der
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