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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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gekratzt.«
    »Sieht nicht gerade nach einem Kratzer aus.«
    »Okay, eine Frau hat mich verprügelt.«
    »Eine Frau? Sie verprügelt? Und was haben Sie getan?«
    »Sie meinen, ob ich sie auch verprügelt habe? Natürlich nicht.«
    »Nein, was haben Sie getan, dass Sie von ihr verprügelt wurden? «
    Schuldgefühle.
    Solange Treslove zurückdenken konnte, hatten ihn erst der erste Dr. Lattimore – gleichsam eine natürliche Konsequenz des Ereignisses – und dann der zweite Dr. Lattimore, dieser kraft strengen Blicks und Worts, mit Schuldgefühlen bestraft. Egal, mit welchen Beschwerden er kam – entzündete Mandeln, Kurzatmigkeit, niederer Blutdruck, hohe Cholesterinwerte –, irgendwie war Treslove immer selbst dran schuld; allein die Tatsache seiner Geburt ging schon auf sein Konto. Und jetzt noch eine vermutlich gebrochene Nase. Auch seine Schuld.
    »Dafür kann ich wirklich nichts«, sagte er, setzte sich wieder und ließ den Kopf hängen, als wollte er aussehen wie ein geprügelter Hund. »Ich wurde überfallen. Ich weiß, es ist ungewöhnlich, dass ein erwachsener Mann von einer Frau zusammengeschlagen und ausgeraubt wird, aber so war’s nun mal. Liegt wohl an meinem Alter.« Er überlegte sich zweimal, was er als Nächstes sagen wollte – und sagte es dann doch: »Sie wissen vielleicht nicht, dass Ihr Großvater mich auf die Welt gebracht hat. Ich war von Anfang an in den Händen der Lattimores. Vielleicht ist es nun an der Zeit, mich einer betreuten Wohnanlage zu empfehlen.«

    »Ich will Sie nur ungern eines Besseren belehren, aber wenn Sie glauben, in einer betreuten Wohnanlage sicher zu sein, irren Sie sich. Da gibt es Frauen, die rauben Sie aus, sobald Sie ihnen auch nur unter die Augen kommen.«
    »Wie wäre es mit einem Seniorenheim?«
    »Auch nicht besser, fürchte ich.«
    »Mache ich denn wirklich den Eindruck, eine derart leichte Beute zu sein?«
    Lattimore musterte ihn von oben bis unten. Die Antwort lautete offensichtlich Ja, doch wusste der Arzt sich taktvoller auszudrücken. »Es geht dabei gar nicht so sehr um Sie«, sagte er, »sondern um die Frauen. Sie werden von Tag zu Tag stärker. Nennt sich medizinischer Fortschritt. Ich habe Patientinnen um die achtzig, mit denen möchte ich mich nicht anlegen. Also sind Sie draußen in der Welt sicherer. Da können Sie wenigstens noch weglaufen.«
    »Das bezweifle ich. Mittlerweile dürfte sich die Geschichte herumgesprochen haben. Außerdem ist meine Angst bestimmt meilenweit zu riechen. Sämtliche Straßenräuberinnen Londons wissen jetzt Bescheid, selbst die, die bislang nicht mal an bewaffneten Raubüberfall gedacht haben.«
    »Sie scheinen das ja ziemlich locker zu nehmen.«
    »Tu ich nicht, ich versuche nur, mich nicht deprimieren zu lassen.«
    »Sehr vernünftig. Hoffentlich wird diese Frau geschnappt.«
    »Von wem? Der Polizei? Die habe ich gar nicht eingeschaltet. «
    »Meinen Sie nicht, das wäre besser?«
    »Damit man mich fragt, was ich getan habe, um die Frau zu provozieren? Nein, danke. Die Polizei wirft mir höchstens vor, mich der Frau unsittlich genähert oder sonst wie an ihr vergangen zu haben. Oder man warnt mich davor, nachts allein auf die Straße zu gehen. So oder so wird man mich auslachen. Muss
ja auch komisch sein – ein Mann, der sich von einer Frau eine gebrochene Nase einfängt. Klingt fast wie ein Witz.«
    »Sie ist nicht gebrochen. Und ich lache nicht.«
    »Tun Sie doch. Innerlich jedenfalls.«
    »Na ja, ich hoffe, Sie tun es auch, innerlich, meine ich. Beste Medizin, wissen Sie.«
    Und seltsamerweise traf das zu. Treslove lachte, innerlich.
    Nur ging er davon aus, dass sich das bald wieder ändern würde.
    Außerdem war er keineswegs davon überzeugt, dass sie nicht gebrochen war.
    5
    Es gab noch etwas, das er zur Sprache bringen wollte, weil er mit irgendwem darüber reden musste, nur hatte er es sich beim Lachen dann anders überlegt. Und Lattimore, sagte er sich, war dafür nicht der Richtige. Falscher Typ. Falsche Figur. Falsche Religion.
    Was ihm die Frau gesagt hatte.
    Allerdings bewegte sich Treslove hier keineswegs auf sicherem Terrain, nicht einmal bei dem, was ihn selbst anging. Möglicherweise bildete er sich nur ein, was er von ihr gehört zu haben meinte. Vielleicht hatte sie tatsächlich seine Juwelen verlangt und damit im Jargon derber Schweinigeleien sein Gemächte gemeint. Ich nehme dir deine Männlichkeit, hätte sie ebenso gut sagen können, ich pack dich bei den Eiern. Und das hatte sie ja auch

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