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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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getan.
    Andererseits, warum sollte sie ihn nicht einfach nur zu ihrer eigenen Genugtuung identifiziert haben: »You Jules, du Jules!«
    Das Problem war bloß – woher kannte sie seinen Namen? Und warum wollte sie von all den vielen Männern dieser Stadt ausgerechnet seine Eier?

    Nichts davon ergab einen Sinn.
    Es sei denn, sie kannte ihn. Aber das hatte er ja alles schon durch. Welche Frau, die ihn kannte – abgesehen von Joia (aber Joia konnte er ausklammern) und Joanna, deren Gesicht er geschminkt hatte (die aber nicht infrage kam, weil Treslove nicht zuließ, dass er auch nur an sie dachte) –, würde ihn angreifen wollen? Welcher Frau hatte er jemals nicht bloß psychischen, sondern körperlichen Schaden zugefügt?
    Wie er die Sache auch drehte und wendete, stets kam er zum selben Ergebnis. Nein zu Juwelen, nein zu Jules, nein zu Jule und ja zu Jud.
    Du Jud.
    Eine Lösung, die mehr Fragen aufwarf, als sie beantwortete. Denn wenn ihm die Frau oder er ihr unbekannt war, wie konnte es dann zu solch einem Irrtum hinsichtlich seiner – er hatte keinen blassen Dunst, wie er das nennen sollte – Ethnie kommen, seines Glaubenssystems? (Er hätte ja seines Glaubens gesagt, aber Finkler war ein Finkler und dennoch ungläubig.) Na gut, dann eben seiner spirituellen Physiognomie?
    Du Jud.
    Julian Treslove – ein Jude?
    Handelte es sich schlicht um eine Verwechslung? War sie ihm in ihrer Verwirrung von Libors Wohnung gefolgt, vor der sie nicht auf ihn, sondern auf Sam Finkler gewartet hatte? Nur sah er Sam Finkler kein bisschen ähnlich – Sam Finkler war sogar einer der wenigen Menschen, denen er überhaupt nicht ähnlich sah –, doch falls sie bloß einem Befehl gehorcht oder einen Auftrag ausgeführt hatte, war sie vielleicht ungenügend mit dem Aussehen der Person vertraut gemacht worden, die sie überfallen sollte.
    Und in seiner Panik war er nicht geistesgegenwärtig genug gewesen, »Ich bin nicht der Jud« zu rufen, »Finkler ist der Jud«.
    Wer aber würde Sam Finkler attackieren wollen? Das heißt, wer außer Julian Treslove? Finkler war ein harmloser, wenn auch
wohlhabender und redseliger Philosoph. Die Menschen mochten ihn. Sie lasen seine Bücher. Sie sahen seine Fernsehsendungen. Er hatte um ihre Zuneigung gebuhlt und sie gewonnen. Soweit Treslove wusste, gab es da zwar ein paar Probleme mit anderen Finklern, vor allem mit Finklern der Sorte, die Israel wie Libor Isrrrae nannten, doch würde ihn gewiss kein Mitjude, und sei er der zionistischste aller Zionisten, allein wegen ihrer gemeinsamen Abstammung angreifen oder misshandeln wollen.
    Und warum eine Frau? Es sei denn, es war eine Frau, die von Finkler persönlich verletzt worden war – von denen gab es bestimmt eine ganze Reihe –, doch eine Frau, die von Finkler persönlich verletzt worden war, würde aus nächster Nähe bestimmt den Unterschied zwischen Finkler und Treslove erkennen. Und sie war ihm ziemlich nah gekommen.
    Er hatte ihren Körper gerochen. Und sie musste ihn gerochen haben. Und er und Finkler … nun ja …
    All das ergab nicht den geringsten Sinn.
    Außerdem war da noch etwas, das nicht den geringsten Sinn ergab, falls es andererseits nicht zu viel Sinn ergab, denn was, wenn die Frau ihn nicht mit Namen angeredet hatte, nicht mit »Du« oder »Du bist Jules«, »du Jule« … »du Jud« – sondern ihm stattdessen den ihren genannt hatte – also nicht »your Jules, dein Jules«, sondern »your Judith, deine Judith«, oder »deine June, deine June«? Die eine in dem Sinne, in dem ihm jene spanische Wahrsagerin mit Halesowen-Akzent einst eine Juno, Judith oder June geweissagt hatte. Mitsamt der Warnung vor den Gefahren, die er sich mit ihr einhandelte.
    Natürlich glaubte er nicht an Wahrsagerei. Er bezweifelte sogar, dass ihm die Zigeunerin wieder eingefallen wäre, wenn er sich nicht in sie verliebt hätte, denn Treslove vergaß nie eine Frau, in die er verliebt gewesen war. Ebenso wenig wie er es vergaß, wenn man ihn zum Narren hielt, nicht zuletzt deshalb, weil eines meist aufs andere folgte. Und dann war da noch Sams
klugscheißerischer Witz »Kennt Jud einen Jud nich?«, mit dem er ihm unter die Nase gerieben hatte, dass ein Nicht-Finkler einem Finkler, was linguistische Virtuosität anging, nicht das Wasser reichen konnte. Kennt Jud einen Jud nich? – das war eine Wunde, die niemals verheilte.
    Unabhängig davon, woran er sich erinnerte, konnte eine Wahrsagerin ja wohl nur dann den Namen der Frau kennen, die ihn dreißig

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