Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
sie deshalb: »Heirate mich.«
Nach einer sehr, sehr späten Studioaufnahme hatte er sie zu einem sehr, sehr späten Essen zum Inder eingeladen. Sie waren die einzigen Gäste im Lokal, der Koch war bereits gegangen, der Kellner wartete im Hintergrund.
Uhrzeit und Umgebung verliehen seinem Antrag eine verzweifelte Dringlichkeit – eine sie beide betreffende Verzweiflung – , die er so nicht beabsichtigt hatte. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, er hätte dafür gesorgt, dass sich sein Antrag nicht anhörte, als täte er ihr einen Gefallen.
»Dich heiraten, du alter Leichenschänder?«, rief Jocelyn mit lachendem Gesicht unter französischer Baskenmütze hervor, die passend rot geschminkten Lippen zur Grimasse verzogen. »In deinem Bett würde ich eingehen.«
»Du gehst erst recht ein, wenn du dich nicht reinlegst«, erwiderte Treslove verletzt und aufgebracht von ihrer heftigen
Weigerung, schließlich hatte er seinen Antrag durchaus ernst gemeint. Von wem sollte Jocelyn denn auch ein besseres Angebot bekommen?
»Siehst du?«, schnaubte sie verächtlich und schien auf eine Art ektoplasmischer Manifestation von Tresloves wahrem Charakter zu deuten. »Genau diesen morbiden Zug habe ich gemeint.«
Später dann, im Nachtbus, tätschelte sie seine Hand und sagte, sie habe nicht unfreundlich sein wollen. Nur sei er für sie eben nichts anderes, das sei alles.
»Nichts anderes?«, fragte Treslove.
»Als ein Freund.«
»Dann such dir einen anderen Freund«, antwortete er, was – ja, ja, schon klar – zum zweiten Mal bewies, wie recht sie hatte.
Was ergäbe es also für einen Sinn, auf Mitleid von seinen Söhnen zu hoffen, wenn sie doch beide Kinder von Frauen waren, die über Treslove genau das sagten, was ihm von Jocelyn gesagt worden war?
Und was die »Du Jud, ich Judith«-Sache anging, wäre er lieber gestorben, als sie zu erwähnen.
Die Jungen waren beide Anfang zwanzig und dachten nicht ans Heiraten. Soll heißen, dass sie vom Temperament her und ganz unabhängig vom Alter nicht zum Heiraten neigten. Rodolfo, von Freunden Ralph genannt, jobbte in der City in einer Sandwich-Bar – so wie sein Vater Milch ausgefahren und Schiebefenster ausgetauscht hatte, sagte sich Treslove, und wohl dank ähnlicher beruflicher Enttäuschungen, wenn auch zusätzlich mit geschlechtsspezifischen Problemen belastet. Sein Sohn trug einen Pferdeschwanz und band sich eine Schürze um, wenn er den Brotbelag vorbereitete. Darüber wurde kein Wort verloren. Was hätte Treslove auch sagen sollen – »Halte dich lieber an Frauen, mein Sohn, und du hast genauso eine tolle Zeit wie ich«? Viel Glück, dachte er nur, doch hätte er auch über Marsianer reden können, so wenig kannte er sich damit aus. Alfredo – Alf
für seine Freunde (die allerdings spärlich gesät waren) – spielte Klavier in Palm Court Hotels in Eastbourne, Torquay und Bath. Die Musik hatte eine Generation übersprungen. Was ihm vom Vater verboten worden war, förderte Treslove diskret, fand aber wenig Freude an Alfredos Musikalität. Der Junge – mittlerweile ein Mann – klimperte nur für sich, zum eigenen Vergnügen, weshalb er sich ideal dazu eignete, an Nachmittagen in großen Sälen zum Tee oder Dinner aufzuspielen – wenn eigentlich kein Mensch Musik hören wollte, höchstens mal ein Happy Birthday to You –, sofern den Gästen nicht auffiel, wie sarkastisch er seine Ständchen vortrug.
Noch mehr Geschlechtsprobleme? Nein, davon ging Treslove nicht aus. Er hatte lediglich einen Sohn gezeugt, der die Frauen nahm, wie sie kamen, mehr nicht. Noch ein Marsianer.
Es war noch nie vorgekommen, dass Treslove mit ihnen über etwas geredet hätte, was ihn wirklich beschäftigte. Söhne zu haben, die nicht von einem selbst aufgezogen worden waren, hatte seine Vorteile. Zum einen brauchte er sich nicht vorzuwerfen, was aus ihnen geworden war; zum anderen war er nie die erste Anlaufstelle, wenn sie in Schwierigkeiten steckten. Manchmal allerdings vermisste er jene Intimität, wie es sie seiner Meinung zwischen echten Vätern und ihren Söhnen geben sollte.
Finkler zum Beispiel hatte zwei Söhne sowie eine Tochter, alle in unterschiedlichen Stadien ihrer jeweiligen Universitätslaufbahn, Campus-Kids wie der Vater, und Treslove malte sich aus, wie sie sich gegenseitig getröstet und füreinander gesorgt hatten, als Tyler Finkler starb. Vielleicht hatte Sam sogar mit seinen Jungen geweint, etwa an ihrer Brust. Tresloves Vater hatte einmal an seiner Brust
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