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Die Finsternis

Die Finsternis

Titel: Die Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Falls
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selten‹.«
    »Ja, das ist mir aufgefallen«, gab ich zu.
    »Und weißt du, was ich noch merkwürdig finde? Sie scheinen mit ihren Verletzungen angeben zu wollen. Als wären sie stolz darauf, von einem Hai gebissen worden zu sein.«
    Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht. Doch nachdem sie ihre Vermutung geäußert hatte, konnte ich mir gut vorstellen, dass sie damit richtig lag. Die Surfs schienen sich so zu kleiden, dass ihre Narben gut zur Geltung kamen. Ich zuckte die Schultern, denn ich war darüber genauso verwirrt wie sie.
    Vor uns war über einem Treppenaufgang ein Schild angebracht. HEUTE : SURFS NUR AUF DEM SONNENDECK ERWÜNSCHT .
    »Was soll das denn heißen?«, fragte ich Gemma. »Dass sie nirgendwo sonst in Rip Tide hindürfen?«
    »Keine Ahnung.« Sie winkte mich zur Treppe. »Geh du schon mal hoch. Ich versuche herauszufinden, wo sich die Boxer vor dem Kampf aufhalten.«
    »Ich denke, wir sollten uns lieber nicht trennen«, sagte ich und versuchte, nicht gleich in Panik auszubrechen. »Ich finde dich doch nie wieder, in diesem …«
    »Geh einfach und such auf dem Sonnendeck nach Bürgermeister Fife. Ich werde dich schon finden«, versicherte sie mir. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand aus meinem Blickfeld. In mir spürte ich Wut aufsteigen, weil Gemma mich für Shade einfach stehen ließ.
    Mir blieb also nichts anderes übrig, als zur Treppe zu laufen, doch bei dem ganzen Lärm und der Hitze lagen meine Nerven blank. Allein bei dem Gedanken an das grelle Sonnenlicht, das mich auf dem Oberdeck erwartete, wurde mir schlecht und ich fühlte mich ganz wacklig auf den Beinen. Schnell schlüpfte ich in einen schattigen Winkel unter dem Treppenaufgang, um mich wieder in den Griff zu bekommen. Wenn ich dort oben wie ein nervöses Wrack aufkreuzte, würde mir der Repräsentant der Surfs sicher nicht erzählen, wo ich die Drift finden konnte.

10
    Ich stand im Schatten unterhalb der Treppe und versuchte durchzuatmen. Mit dem Rücken zur Wand überblickte ich den betriebsamen Steg. Vom Deck darüber tropfte es unablässig auf jeden, der dort entlanglief, wobei die Topsider sich unter ihren Sonnenschirmen verkrochen.
    Nach einer Weile erschien mir die Menge von meinem Standpunkt aus gar nicht mehr wie eine undurchdringliche, homogene Menschenmasse. Eigentlich war es sogar interessant zu sehen, wie viele verschiedene Arten von Menschen vorbeikamen – von schrillen Schachtelstadtbewohnern bis hin zu Schlammgräbern, die auf dem Meeresboden arbeiteten. Und ich hatte geglaubt, dass die Handelsstation eine große Vielfalt von Leuten anlockte. Da hatte ich mich wohl getäuscht.
    Sobald ich mich etwas beruhigt hatte, erschien mir das Stimmengewirr so vieler Menschen nicht mehr wie ein Tosen auf meinem Trommelfell. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich sogar einzelne Stimmen der vorbeilaufenden Leute heraushören. Ich schnappte ein paar Gesprächsfetzen auf, in denen es meistens um Wetten auf den bevorstehenden Kampf ging. Ich konnte sogar Matrosen und Tiderunner an ihrem Dialekt auseinanderhalten. Noch einfacher war es jedoch, die Festlandbewohner zu erkennen. Durch ihre geschwollenen Sätze, die mit überflüssigen Wörtern gespickt waren, konnte ich sie identifizieren, ohne hinzusehen. Ich musste zugeben, dass das Beobachten der Menschen interessanter war, als ich jemals gedacht hätte. Insbesondere weil die Festlandbewohner mit ihren hauchdünnen Kleidern und den mit Zinksalbe eingeschmierten Gesichtern – einige sahen aus wie Tiere und Vögel, andere trugen fantasievolle Muster – mir das Gefühl gaben, mich in einem Traum zu befinden.
    Und dann gab es da noch die Surfs. Ihre sonnenverbrannte Haut war leicht zu erkennen, obwohl keiner von ihnen eine so ledrige Haut hatte wie die Surfs auf der Drift . Sie trugen ganz unterschiedliche Kleidung, die anscheinend von dem Gewerbe abhing, das sie auf ihrem Township betrieben. Ich sah Ponchos aus Lachshaut, Hüte, die aus Seegras geflochten waren oder Kleider aus Leinensäcken und alten Fischernetzen. Doch ich wusste nicht genug über die Kultur der Surfs, um die Weichtierfarmer von den Biokraftstoff-Erntearbeitern zu unterscheiden. Viele starrten mich an, als sie die Treppe zum Sonnendeck hinaufstiegen. Wahrscheinlich, weil meine Haut aus dem Schatten hervorstach. Doch in Anbetracht der Brandblasen, der auffälligen Tätowierungen und fehlenden Gliedmaßen sollte ein Schein eigentlich keine allzu große Sache sein.
    Jetzt, da ich mich wieder

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