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Die Finsternis

Die Finsternis

Titel: Die Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Falls
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unter Kontrolle hatte, wurde es Zeit, nach Bürgermeister Fife zu suchen. Aber als ich aus meinem Schlupfwinkel hervortrat, sah ich gerade ein mir bekanntes gestreiftes Hawaiihemd im nächsten Laden verschwinden. Auf dem Schild davor war zu lesen: RASIEREN , EINREIBEN , VERZIEREN .
    Als ich durch die Schwingtür in das Geschäft trat, war ich erleichtert, dass es nicht zu voll war. Wahrscheinlich, weil die Sonne bald unterging. Ein paar Kunden saßen zurückgelehnt auf Stühlen und ließen sich von den Angestellten in weißen Kitteln mit Pinseln und Kittspachteln die nackte Haut bemalen. Dutzende Fotos an der Wand zeigten eine große Auswahl an bemalten Körperteilen – ein Design aufwendiger als das andere.
    Ich entdeckte Tupper ganz hinten im Laden. Er saß neben einer Frau, deren nackte Arme sehr sorgfältig mit gelben Blumen verziert worden waren. Als ich auf ihn zusteuerte, kam ich an einem weiteren Kunden vorbei, der mit dem Gesicht nach unten auf einer gepolsterten Pritsche lag. Auf seinem Rücken glänzte ein frisch gemaltes Meerespanorama, das schöner war als alles, was ich jemals gesehen hatte.
    »Wird das lange halten?«, fragte ich den Angestellten, der gerade mit seiner Farbpalette beschäftigt war.
    »Ich werde den Rücken noch mit einer schweißechten Beschichtung besprühen, aber es bleibt eine vergängliche Schönheit, kurzlebig wie eine Rose.«
    Und zehnmal so teuer, dachte ich.
    »Bitte nur mit Weiß einreiben«, hörte ich Tupper in diesem Moment sagen und war enttäuscht. Wenn man aus so vielen Farben und Motiven wählen konnte, war einfaches Weiß ziemlich langweilig.
    Auch der Bedienstete schien enttäuscht zu sein. »Nur Weiß?«
    »Ich bin ein Traditionalist.« Tupper lehnte sich im Stuhl zurück. Als er mich entdeckte, winkte er mich heran. »Ich nehme an, du hast nach mir gesucht?«
    Ich schielte zu dem Angestellten hinüber und senkte die Stimme. »Sie haben da vorhin etwas erwähnt … Wurden auch schon andere Leute von Surfs entführt?«
    »Oh ja, es scheinen jedes Jahr mehr zu werden. Es ist sogar dem Abgeordneten aus Pennsylvania passiert.« Kichernd schloss Tupper die Augen. »Ich glaube, es war Rawscale. Die Surfs haben ihn direkt von seiner Jacht weggeschnappt und eine unglaubliche Summe als Lösegeld verlangt. Sie wollten nicht einmal mit seiner Familie verhandeln.«
    »Aber sie haben ihn irgendwann zurückbekommen?«
    »Na ja, nein, genau genommen ging dieser Fall nicht gut aus«, sagte Tupper, während der Angestellte seinen fast kahlen Schädel mit weißer Zinksalbe einschmierte. »Aber ich bin mir sicher, dass deinen Eltern nicht so etwas Grauenhaftes widerfahren wird. Sie wissen bestimmt, dass man sich mit den Wilden besser nicht anlegen sollte.«
    »Die Surfs von der Drift haben aber kein Lösegeld gefordert. Jedenfalls glaube ich das.«
    »Nicht?« Er runzelte die Stirn, ohne dabei die Augen zu öffnen. »Nun, ich bin sicher, das werden sie noch tun.«
    Ich warf einen Blick auf den Angestellten, der die weiße Paste nun auf Tuppers Augenlidern und der Nase verteilte. Unser Gespräch schien ihm völlig egal zu sein. »Und was, wenn es gar nicht um Lösegeld geht?«, fragte ich Tupper.
    »Ich bitte dich, bei den Surfs geht es immer um Geld. Ganz besonders jetzt.«
    »Wieso gerade jetzt?«
    Obwohl erst die Hälfte seines Gesichtes mit Zinkpaste bedeckt war, scheuchte Tupper den Bediensteten beiseite und setzte sich auf. »Hör zu, Ty«, sagte er und betonte meinen Vornamen dabei, als wollte er zeigen, dass er sich an ihn erinnerte. »Es gibt nichts, worüber du dir Sorgen machen solltest. Ich habe gehört, dass Kommandantin Selene Revas mit dem Fall betraut wurde, und sie ist der einzige Offizier der Meereswache, mit dem die Surfs verhandeln.«
    »Wieso das?«
    »Sie mögen ihr Parfüm.« Er hätte stattdessen auch nur die Augen verdrehen können. »Wer weiß das schon? Wen kümmert’s, solange sie mit jemandem von unserer Seite verhandeln?«
    Vor dem heutigen Tag hätte ich mich gegen den Ausdruck »unsere Seite« gesträubt. Wir waren alle Bürger des Staatenbundes. Doch jetzt waren die Surfs von der Drift in meinen Augen so tief gesunken, dass ich sie nicht einmal mehr als Menschen bezeichnen konnte.
    Etwas entfernt ertönte ein Gong.
    »Werd endlich fertig!«, schnauzte Tupper den Bediensteten an, während er sich auf dem Stuhl zurücklehnte. »Ich habe noch keine Wette abgeschlossen.«
    »Das war der Glockenschlag zur vollen Stunde, Sir. Sie haben noch reichlich Zeit.

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