Die Firma
verschwinden.«
»Wieviel Geld?«
»Mehr als eine Million. Sie treiben ihr Spiel mit dem Geld.
Das ist alles Verhandlungssache.«
»Wieviel werden wir bekommen?«
»Zwei Millionen, steuerfrei. Keinen Pfennig weniger.«
»Werden sie das zahlen?«
»Ja, aber das ist nicht die eigentliche Frage. Die eigentliche Frage ist: werden wir es nehmen und die Flucht ergreifen?«
Ihr war kalt, und er legte ihr seinen Mantel um die Schultern.
Er hielt sie fest umschlungen. »Es ist ein lausiger Handel, Mitch«, sagte sie, »aber wenigstens werden wir beisammen sein.«
»Ich heiße Harvey, nicht Mitch.«
»Glaubst du, wir wären sicher, Harvey?«
»Hier sind wir auch nicht sicher.«
»Hier gefällt es mir nicht. Ich bin einsam und habe Angst.«
»Ich habe es satt, Anwalt zu sein.«
»Dann laß uns das Geld nehmen und Fersengeld geben.«
»Ein guter Vorschlag, Thelma.«
Sie händigte ihm die Kassette aus. Er warf noch einen Blick darauf, dann schleuderte er sie weit fort, über den Riverside Drive hinweg in ein Gebüsch am Fluß. Sie hielten sich bei den Händen und wanderten rasch durch den Park zu dem in der Front Street geparkten BMW.
24
Erst zum zweiten Mal wurde Mitch gestattet, den Speisesaal im fünften Stock zu betreten. Averys Einladung war verbunden mit der Erklärung, die Partner wären überaus beeindruckt von den einundsiebzig Stunden, die er im Februar im Durchschnitt wöchentlich geleistet hatte, und deshalb wollte sie ihm eine kleine Belohnung in Form des Lunchs zukommen lassen. Es war eine Einladung, die kein angestellter Anwalt ablehnen konnte, ungeachtet sämtlicher Termine und Klienten, des Zeitdrucks und all der anderen furchtbar wichtigen und überaus dringlichen Aspekte der Arbeit bei Bendini, Lambert & Locke.
Es war noch nie vorgekommen, daß ein angestellter Anwalt nein gesagt hatte zu einer Einladung in den Speisesaal. Jeder wurde zweimal im Jahr eingeladen. Es wurde Buch darüber gefühlt.
Mitch hatte zwei Tage, um sich darauf vorzubereiten. Sein erster Impuls war, die Einladung abzulehnen, und als Avery sie zum ersten Mal aussprach, schossen ihm ein Dutzend lahme Entschuldigungen durch den Kopf. Mit Kriminellen, so reich und verbindlich sie auch sein mochten, zu essen, zulächeln, zu plaudern und zu fraternisieren war ihm mehr zuwider, als mit einem Stadtstre i cher unten am Busbahnhof einen Teller Suppe zu teilen. Aber eine Ablehnung wäre ein schwerer Verstoß gegen die Tradition gewesen. Und wie die Dinge lagen, war sein Verhalten ohnehin schon verdächtig genug.
Also saß er mit dem Rücken zum Fenster da und rang sich Lächeln und Geplauder in Richtung Avery, Royce McKnight und natürlich Oliver Lambert ab. Er hatte gewußt, daß er mit diesen dreien an einem Tisch sitzen würde. Hatte es seit zwei Tagen gewußt. Er wußte, daß sie ihn sorgfä l tig, aber unauffällig beobachten und versuchen würden, irgendein Nachlassen
der Begeisterung oder Zynismus oder
Hoffnungslosigkeit zu entdecken. Überhaupt alles, was es zu entdecken gab. Er wußte, daß sie sich kein Wort entgehen lassen würden, ganz gleich, was er sagte. Er wußte, daß sie Lob und Versprechungen auf seine müden Schultern häufen würden.
Oliver Lambert war nie liebenswürdiger gewesen.
Einundsiebzig Stunden in der Woche in einem Februar waren ein Firmenrekord für einen angestellten Anwalt, sagte er, als Roosevelt gegrillte Rippchen servierte. Alle Partner waren verblüfft und entzückt, erklärte er leise, wobei er sich im Raum umschaute. Mitch rang sich ein Lächeln ab und zerteilte sein Fleisch. Die anderen Partner, erstaunt oder gleichgültig, unterhielten sich und konzentrierten sich auf ihr Essen. Mitch zählte achtzehn aktive Partner und sieben im Ruhestand, e r kennbar an Khakihosen und Pullovern und entspanntem Aussehen.
Sie verfügen über eine bemerkenswerte Ausdauer, Mitch«, sagte Royce McKnight mit vollem Mund. Er nickte höflich. Ja, ja, ich trainiere meine Ausdauer ununterbrochen, dachte er bei sich. Soweit es ihm möglich war, verdrängte er die Gedanken an Joe Hodge und Marty Kozinski und die anderen drei toten Anwälte, deren Bilder unten an der Wand hingen. Aber es war ihm unmöglich, auch die Gedanken an die Fotos von dem Mädchen im Sand zu verdrängen, und er fragte sich, ob alle darüber Bescheid wußten. Hatten sie alle die Fotos gesehen?
Waren sie bei einer dieser kleinen Mahlzeiten herumgereicht worden, als nur die Partner z u gegen waren und keine
Weitere Kostenlose Bücher