Die Firma
nehme an, ich hätte es Ihnen sagen sollen, aber das ist etwas, worüber wir nicht gern reden.«
»Kann ich ein anderes Büro haben?«
»Klar. Sie brauchen nur durchs Examen zu fallen, dann geben wir Ihnen eines dieser Anwaltsgehilfen-Büros im Souterrain.«
»Wenn ich durchfalle, ist das Ihre Schuld.« »Ja, aber Sie werden nicht durchfallen, oder?« »Wenn Sie das Examen bestehen konnten, dann kann ich es auch.«
Morgens von fünf bis sieben Uhr war das Bendini-Gebäude leer und still. Nathan Locke kam gegen sechs, begab sich aber direkt in sein Büro und verschloß die Tür. Ab sieben begannen die jüngeren Anwälte zu erscheinen, und Stimmen waren zu hören. Bis halb acht waren die meisten eingetroffen, dazu eine Handvoll Sekretärinnen. Um acht herrschte reger Betrieb und Chaos wie g e wöhnlich. Das Konzentrieren wurde schwierig.
Störungen waren an der Tagesordnung. Ununterbrochen läuteten Telefone. Um neun waren alle Anwälte, Anwaltsgehilfen, Sekretäre und Sekretärinnen entweder anwesend oder hatten einen Grund für ihre Abwesenheit.
Mitch schätzte die Ruhe der frühen Morgenstunden. Er stellte seinen Wecker um eine halbe Stunde vor und ging dazu über, Dutch schon um fünf statt um halb sechs zu wecken. Nachdem er sich zwei Becher Kaffee gemacht hatte, streifte er durch die dunklen Flure, machte überall Licht und inspizierte das Gebäude. Gelegentlich, an einem klaren Morgen, stand er in Lamars Büro am Fenster und beobachtete, wie über dem gewaltigen Mississippi die Sonne aufging, und zählte die Kähne, die von ihren Schleppern langsam stromaufwärts gezogen wurden. Er beobachtete auch die Lastwagen, die in der Ferne über die Brücke krochen. Aber er vergeudete nur wenig Zeit Er diktierte Briefe, Schriftsätze, Stellungnahmen, Aktennotizen und noch Hunderte weitere Dokumente, die Nina dann schreiben und Avery begutachten würde. Er büffelte für das Anwaltsexamen.
Am Morgen nach der Zeremonie für die toten Anwälte ging er auf der Suche nach einem Aufsatz hinunter in die Bibliothek im ersten Stock, wo ihm abermals die fünf Porträts auffielen. Er ging zu der Wand und betrachtete sie und erinnerte sich an die kurzen Nachrufe, die Avery ihnen hatte zuteil werden lassen.
Fünf tote Anwälte in zwanzig Jahren. Ein gefährlicher Arbeitsplatz. Er schrieb die Namen und die Todesjahre auf einen Notizblock. Es war halb sechs.
Etwas bewegte sich auf dem Flur, und er fuhr herum. Er sah, wie Schwarzauge ihn aus der Dunkelheit heraus beobachtete und dann an die Tür trat und Mitch anfunkelte. »Was machen Sie hier?« wollte er wissen.
Mitch sah ihn an und bemühte sich um ein Lächeln. »Guten Morgen, Sir. Ich lerne für das Anwaltsexamen.«
Locke starrte die Porträts an und dann Mitch. »Verstehe.
Wieso interessieren Sie sich dafür?«
»Reine Neugierde. Anscheinend hat es in der Firma etliche Tragödien gegeben.«
»Sie sind alle tot Zu einer wirklichen Tragödie wird es kommen, wenn Sie das Examen nicht bestehen.«
»Ich gedenke es zu bestehen.«
»Ich habe etwas anderes gehört. Ihre Lerngewohnheiten machen den Partnern Sorgen.«
»Machen sich die Partner auch Sorgen wegen der Unmenge der von mir abgerechneten Stunden?«
»Werden Sie nicht frech. Ihnen ist gesagt worden, daß das Anwaltsexamen allem anderen vorgeht Ein Angestellter ohne Lizenz ist für die Firma von keinerlei Nutzen.«
Mitch fiel ein Dutzend frecher Antworten ein, aber er erwiderte nichts. Locke trat zurück und verschwand. In sein Büro hinter verschlossener Tür. Mitch versteckte die Namen und Daten in einer Schublade und schlug das Repetitorium über Verfassungsrecht auf.
10
Am Samstagmorgen nach dem Anwaltsexamen mied Mitch sein Büro und sein Haus und verbrachte den Vormittag damit, die Blumenbeete zu hacken. Inzwischen war die Renovierung abgeschlossen und das Haus präsentabel, und die ersten Besucher mußten natürlich Abbys Eltern sein. Abby hatte eine Woche lang geputzt und poliert, und jetzt war die Zeit gekommen. Sie versprach, sie würden nicht lange bleiben, nicht länger als ein paar Stunden. Er versprach, so nett wie möglich zu sein.
Mitch hatte die beiden neuen Wagen gewaschen und eingewachst, und sie sahen aus, als kämen sie gerade aus dem Ausstellungsraum. Der Rasen war von einem Jungen aus der Nachbarschaft gemäht worden. Mr. Rice hatte genügend Dünger für einen Monat aufgebracht, und jetzt sah er aus wie ein Golfplatz, wie er zu sagen pflegte.
Gegen Mittag kamen sie an,
Weitere Kostenlose Bücher