Die Flamme erlischt
und in das angrenzende Schlafzimmer zu gehen, um selbst nachzusehen. Statt dessen schloß er die Augen und versuchte alle Erinnerungen zu verdrängen.
Und dann brach die Morgendämmerung an. Fetter Satan ragte halb über den Horizont, und fiebriges Licht, so rot und kalt wie Dirks Alpträume, flutete durch das hohe Mosaikfenster (in der Mitte wirkte es fast durchsichtig klar, aber ein breiter Rand war in verschlungenen Mustern aus schattigem Rotbraun und rauchigem Grau gehalten), um über sein Gesicht zu fallen. Er rollte sich aus der Helligkeit heraus und mühte sich ab, bis er eine Sitzhaltung erreicht hatte. Jaan Vikary erschien und bot ihm die Feldflasche an.
Dirk nahm mehrere tiefe Züge, verschluckte sich beinahe an dem kalten Wasser und ließ es über seine trockenen, gesprungenen Lippen laufen und über sein Kinn rieseln. Als Jaan sie ihm gegeben hatte, war die Feldflasche voll gewesen, halb geleert gab er sie zurück. »Sie haben Wasser gefunden«, sagte er zu Jaan.
Der nickte beim Verschließen der Flasche. »Die Pumpstationen sind schon seit Jahren außer Betrieb, deshalb gibt es in den Türmen von Kryne Lamiya kein Wasser mehr. Aber durch die Kanäle fließt noch welches. Gestern nacht, während Gwen und Sie schliefen, bin ich hinuntergegangen. «
Unsicher kam Dirk auf die Füße, und Jaan streckte die Hand aus, um ihm aus dem schwankenden Bett zu helfen. »Ist Gwen ... ?« »Sie hat früh in der Nacht das Bewußtsein wiedererlangt, t'Larien. Wir sprachen miteinander, und ich erzählte ihr, was ich getan habe. Ich glaube, ihr Gesundheitszustand wird sich rasch bessern.« »Kann ich mit ihr sprechen?«
»Sie ruht sich jetzt aus, das heißt, sie schläft. Ich bin sicher, daß sie später mit Ihnen sprechen möchte, aber im Augenblick sollten wir sie nicht wecken. Letzte Nacht versuchte sie aufzustehen, hatte aber große Mühe dabei und fühlte sich anschließend sehr schlecht.« Dirk nickte. »Ich verstehe. Und was ist mit Ihnen? Ein bißchen Schlaf gefunden?« Beim Sprechen sah er sich in ihrem Quartier um. Irgendwie schien die Musik von Dunkeldämmerung in den Hintergrund getreten zu sein. Sie war noch immer heulend und klagend zu hören und durchdrang jedes Luftmolekül in Kryne Lamiya, aber in seinen Ohren klang sie schwächer, entfernter. Offenbar gewöhnte er sich langsam daran und sonderte sie aus seinem bewußten Hören aus. Die Lichtspiele in den Wänden hatten sich unter dem Einfluß des normalen Tageslichts diesem angeglichen und waren praktisch nicht mehr zu sehen. Darin glichen sie den Glühsteinen von Larteyn. Die Wände wirkten grau und leer. Was an Einrichtungsgegenständen vorhanden war – ein paar unbequem aussehende Stühle –, schien Fußboden und Wänden entwachsen zu sein: kunstvoll gewundene Triebe, die Farbe und Stil des Zimmers so genau trafen, daß man sie allein kaum wahrnehmen konnte. »Ich habe genug geschlafen«, sagte Vikary. »Das ist nicht so wichtig. Ich habe mir unsere Lage durch den Kopf gehen lassen.« Er winkte Dirk heran. »Kommen Sie mit.« Sie gingen durch einen weiteren Raum, ein leeres Speisezimmer, und dann hinaus auf einen der vielen Balkone, von denen aus man eine gute Sicht auf die ganze Stadt hatte. Am Tage sah Kryne Lamiya anders aus, weniger hoffnungslos. Selbst Worlorns verwaschenes Sonnenlicht reichte aus, um dem schnellfließenden Wasser in den Kanälen ein Funkeln zu verleihen. Im Zwielicht des Tages erinnerten die bleichen Türme auch nicht so sehr an Totenmale wie in der Nacht. Dirk fühlte sich schwach und war sehr hungrig, aber von seinen Kopf- schmerzen spürte er nichts mehr. Der frische Wind tat ihm sehr gut. Mit den Fingern strich er sein Haar aus der Stirn – es war sehr knotig und hoffnungslos verfilzt – und wartete auf Jaans Bericht. »Während der Nacht habe ich von hier Ausschau gehalten«, sagte Vikary, die Ellbogen auf das Eisengeländer gestützt und, wie zur Unterstreichung des Gesagten, den Horizont mit den Augen absuchend. »Sie sind hinter uns her, t'Larien. Zweimal habe ich über der Stadt Gleiter ausmachen können. Beim ersten Mal war es nur ein Licht, ganz weit oben, und vielleicht habe ich mich auch geirrt. Beim zweiten Mal kann es jedoch keine Täuschung gewesen sein. Chells Wolfskopfwagen flog mit auf geblendeten Scheinwerfern tief über die Kanäle. Er kam ganz dicht an uns vorbei. Ein Hund war auch an Bord. Ich hörte ihn heulen. Die Musik der Dunklinge muß ihn rasend gemacht haben.« »Sie haben uns nicht
Weitere Kostenlose Bücher