Die Flamme erlischt
Denn es gibt noch eine andere Möglichkeit, müssen Sie wissen.« »Eine andere ...«
»Er könnte uns jagen. Er kann Worlorn nicht verlassen, bevor ein Schiff ankommt. Das wird noch einige Zeit dauern. Ich weiß nicht, was er tun wird.«
»Gewiß wird er sich den Braiths nicht anschließen. Sie sind seine Feinde, während Sie und Gwen für ihn teyn und cro-betheyn sind. Sicher wird er den Wunsch verspüren, mich zu töten – ich zweifle kaum daran –, aber ...«
»Garse ist mehr Kavalare als ich, t'Larien. Das war schon immer so. Und jetzt tritt es noch deutlicher zutage, weil ich überhaupt kein Kavalare mehr bin – nach dem, was ich getan habe. Die alten Bräuche verlangen von jedem Mann, daß er einen Duellbrecher tötet, selbst wenn es sich dabei um seinen eigenen teyn handelt. Diesem Brauch können nur die Stärksten Folge leisten. Bei den meisten ist der Bund von Eisen-und-Feuer so eng, daß sie es nicht über sich bringen, ihren früheren teyn zu jagen. Aber Garse ist ein sehr starker Mann, auf so viele Arten stärker als ich. Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Und wenn er uns tatsächlich verfolgt?«
Vikary sprach leise. »Ich werde die Waffe nicht gegen Garse erheben. Er ist mein teyn – ob ich das nun auch noch für ihn bin oder nicht. Ich habe ihn schon schwer genug verletzt, ihn verraten, Schande über ihn gebracht. Ich war Schuld daran, daß er den größten Teil seines Lebens als Erwachsener eine schmerzhafte Narbe ertragen mußte. Damals, als wir beide noch jünger waren, nahm ein älterer Mann Anstoß an Garses Spaßen und forderte Genugtuung. Wir einigten uns auf einen einzigen Schuß pro Mann und kämpften geteynt. In meiner unerschöpflichen Weisheit überredete ich Garse, daß unserer Ehre Genüge getan sei, wenn wir in die Luft feuerten. Zu unserem Leidwesen taten wir das auch. Die anderen jedoch hatten beschlossen, Garse in Sachen Humor eine Lektion zu erteilen. Zu meiner Schande blieb ich unversehrt, während er aufgrund meiner Torheit entstellt wurde. Dennoch hielt er mir das niemals vor. Als ich ihn nach dem Duell zum ersten Male wieder aufsuchte, während er noch seine Wunden auskurierte, sagte er zu mir: ›Du hattest recht, Jaantony, sie haben tatsächlich in die Luft geschossen. Schade, daß sie nicht getroffen haben.‹« Vikary lachte, aber als Dirk zu ihm hinüberblickte, sah er, daß die Augen naß vor Tränen und die Mundwinkel verzerrt waren. Aber er weinte nicht, mit ungeheurer Willensanstrengung schaffte er es, die Tränen zurückzuhalten.
Abrupt wandte sich Jaan ab, ging in das Gebäude hinein und ließ Dirk allein mit dem Wind und der weißen, von Lamiya-Bailis' Musik erfüllten Zwielichtstadt auf dem Balkon stehen.
In weiter Ferne ragten Gebilde wie verkrampfte Hände hoch und hielten die anstürmende Wildnis auf. Dirk studierte sie und überdachte dabei Vikary s Worte.
Minuten später kam der Kavalare mit trockenen Augen und ernstem Gesichtsausdruck zurück. »Es tut mir leid«, begann er. »Kein Grund, um ...«
»Wir müssen zum Kern der Sache kommen, t'Larien. Ob Garse uns jagt oder nicht – das Kräfteverhältnis könnte kaum schlechter sein. Für den Fall, daß wir kämpfen müssen, haben wir zwar Waffen, aber niemand, der sie bedient. Gwen ist ein guter Schütze, und furchtlos ist sie auch. Aber im Moment hat sie das Manko der Verletzung und steht ein bißchen wacklig auf den Beinen. Und Sie – kann ich Ihnen trauen? Ich will ganz offen zu Ihnen sein. Ich habe Ihnen einmal vertraut, und Sie haben mich verraten.«
»Wie kann ich diese Frage beantworten?« sagte Dirk. »Sie brauchen den Versprechungen, die ich Ihnen gebe, keinen Glauben zu schenken. Aber die Braiths wollen auch mich töten, erinnern Sie sich bitte daran. Und Gwen ebenfalls. Oder denken Sie, ich könnte Gwen so leicht verraten, wie ich ...« Über die eigenen Worte erschrocken, brach er ab. »... so leicht, wie Sie mich verraten haben«, beendete Vikary den Satz mit hartem Lächeln. »Sie sind ganz schön offen. Nein, t'Larien, ich glaube nicht, daß Sie Gwen verraten würden. Aber ich habe auch nicht damit gerechnet, daß Sie uns im Stich lassen würden, als wir Sie zum keth machten und Sie diesen Namen akzeptierten. Wir wollten uns nur Ihretwegen duellieren.«
Dirk nickte. »Das weiß ich. Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht. Ich kann es nicht sagen. Wenn ich Ihnen die Treue gehalten hätte, wäre ich jetzt tot.«
»Ehrenvoll als keth von Eisenjade
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