Die Flamme erlischt
verstummte und brütete stumm vor sich hin. Von draußen drang Worlorns Wind mit schrillem Pfeifen in die Stille hinein. »Jaan«, sagte Dirk nach einiger Zeit, »wir müssen uns trotzdem entscheiden, wohin wir fliegen wollen. Wir müssen Gwen in Sicherheit bringen und einen Platz finden, wo wir es ihr bequem machen können. Wo Pflege möglich ist und vielleicht sogar ein Arzt geholt werden kann.«
»Ich kenne keine Ärzte auf Worlorn«, sagte Vikary. »Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß wir Gwen in eine Stadt bringen müssen.« Er dachte einen Augenblick nach. »Esvoch liegt am nächsten, aber die Stadt ist zu sehr verfallen. Kryne Lamiya dürfte unsere beste Wahl sein, da sie nur wenig weiter entfernt liegt. Also nach Süden.« Dirk ließ den Gleiter einen weiten Bogen beschreiben und hielt, ständig an Höhe gewinnend, auf die ferne Bergkette zu. Vage erinnerte er sich an den Kurs, den Gwen vom blitzenden pi-Emereli-Turm zur Wildnisstadt von Dunkeldämmerung und ihrer öden Musik gesteuert hatte. Als sie sich den Bergen näherten, verfiel Vikary erneut ins Grübeln und starrte blind in Worlorns pechschwarze Nacht hinaus. Dirk, der sich gut vorstellen konnte, welche Gefühle den Kavalaren beherrschten, hütete sich, dessen Melancholie zu stören und zog sich in seine eigene Sphäre des Schweigens und der trüben Gedanken zurück. Er fühlte sich sehr schwach. Seine Kopfschmerzen waren zurückgekehrt und nagten in seinem Schädel, plötzlich wurde er sich bewußt, daß Mund und Hals rauhem Pergament glichen. Er versuchte sich daran zu erinnern, wann er zuletzt etwas gegessen oder getrunken hatte, aber es wollte ihm nicht einfallen. Irgendwie hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. Worlorns mächtige kohlenschwarze Gipfel ragten drohend unmittelbar vor ihnen auf, und Dirk zog den Gleiter höher, um sie zu überfliegen. Weder er noch Jaan Vikary sprachen ein Wort dabei. Erst als die Berge hinter ihnen lagen und die Wildnis sich unter ihnen ausbreitete, brach der Kavalare sein Schweigen. Aber er gab lediglich Anweisungen für den richtigen Kurs, den Dirk zu fliegen hatte. Danach schwieg er wieder, und schweigend verbrachten sie auch den restlichen Flug bis zu ihrem Bestimmungsort.
Diesmal wußte Dirk, was ihn erwartete, und er lauschte. Lamiya-Bailis' Musik drang an seine Ohren, ein schwaches, vom Wind getragenes Heulen, lange bevor die Stadt selbst aus den Wäldern auftauchte und sie in sich aufnahm. Außerhalb ihres gepanzerten Hafens gab es nur Trostlosigkeit – unter ihnen die wirren Nachtwälder, über ihnen der nur spärlich mit Sternen besetzte Himmel. Aber nicht diesen Regionen entsprang das Gefühl totaler Verzweiflung. Es war die Musik, die sich klimpernd und flüsternd heranschlich und jeden berührte, den sie erreichte.
Vikary vernahm sie ebenfalls. Er sah Dirk bedeutungsvoll an. »Diese Stadt paßt jetzt genau zu uns, t'Larien.«
»Nein«, sagte Dirk ein wenig zu laut und verriet damit, daß er das nicht glauben wollte,
»Dann eben zu mir. All meine Anstrengungen sind zunichte. Die Leute, die ich zu retten glaubte, sind nicht länger sicher. Die Braiths können nun nach Belieben Jagd auf sie machen, korariel von Eisenjade oder nicht. Ich kann sie nicht daran hindern. Garse könnte es vielleicht, aber was will ein Mann allein ausrichten? Vielleicht versucht er es erst gar nicht. Es war meine fixe Idee, niemals die seine. Garse ist selbst verloren. Ich glaube, er wird allein nach Hoch Kavalaan zurückkehren und allein in die Festhalte von Eisenjade hinabsteigen. Dort wird der Hochleibeigenenrat meine Namen streichen. Er wird ein Messer suchen müssen, um die Glühsteine aus ihrer Fassung zu brechen und danach leeres Eisen um seinen Arm tragen. Sein teyn ist tot.« »Auf Hoch Kavalaan vielleicht«, sagte Dirk. »Aber Sie haben auch auf Avalon gelebt, erinnern Sie sich?« »Ja«, sagte Vikary. »Leider.«
Die Musik schwoll an und dröhnte in den Ohren. Unter ihnen nahm die Sirenenstadt Form an: der äußere Turmring wie fleischlose Hände in erstarrtem Schmerz, bleiche Brücken über dunklen Kanälen, Teppiche schwachleuchtenden Mooses, hoch in den Wind ragende, pfeifende Spiralen. Eine weiße Stadt, eine tote Stadt, ein Wald scharfkantiger Knochen.
Dirk ließ den Gleiter kreisen, bis er jenes Gebäude fand, in das ihn Gwen geführt hatte. Dann setzte er zur Landung an. In der Landeschleuse standen die beiden Gleiterwracks noch immer ungestört unter ihrer dicken Staubschicht. Dirk
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